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Martin Dibelius:
auf dem Weg 'per omnia elementa’. Also etwa: hinaufschreiten
aus dem unterirdischen Bezirk vorbei an Altären oder Bildern
der Elementargottheiten oder durch Räume, die ihnen geheiligt
sind. Damit verbunden das Gefühl, in den Elementen zu sein, ihre
Sphären — dank der Berufung durch die Göttin — gefahrlos
durchwandeln zu können1.
Da dieser Weg per omnia elementa den Mysten von den dii
inferi schließlich zu den dii superi führt, wird man an dem Sinn der
Handlung nicht zweifeln können: die Elemente repräsentieren die
Welt, die zwischen unten und oben liegt. Daß diese kosmischen
Gottheiten als Zwingherren des Menschen gedacht wurden, denen
er ausgeliefert ist, weil er ihnen entstammt, habe ich selbst in ver-
schiedenen Arbeiten zu zeigen versucht2: έξ ημών παγέντες, δτε
έγένεσΤε, πάλιν εις ημάς άναλυ-θ-ήσεσΕε, όταν δέη Τνήσκειν —
so rufen die Elemente dem Menschen zu (Philo, de spec. leg.
I 266 p. 252 Mangey). Und diese Herrschaft verdammt den Men-
schen zu immerwährender Abhängigkeit im Sinne der Goetheschen
Ανάγκη: „Bedingung und Gesetz; und aller Wille ist nur ein
Wollen, weil wir eben sollten." In solcher Abhängigkeit hat der
Mensch zwei Mittel gefunden, sein Dasein erträglich zu gestalten:
er muß die Elemente anbeten, um nicht von ihnen geschädigt zu
werden3 oder er muß sich einer Gottheit anvertrauen, die ihrer-
seits den Elementen gebietet und ihren Schützling vor jeglicher
Bedrohung durch die στοιχεία sicherstellt. Das letzte ist unser
Fall: die Gnade der Isis hat den Mysten gefeit und er kann ohne
Schaden zu nehmen aus dem Totenreich durch die Regionen der
1 Ygl. Reitzenstein, Hellenist. Mysterienreligionen 85: „auch Apu-
lejus hat die dei superi et inferi geschaut und sich in allen Elementen gefühlt.“
Aber diese Formulierung legt die Deutung auf rein subjektives Erleben nahe,
wie es etwa der von Reitzen stein a. a. O. 121 zitierten Stelle Corpus Herrn.
XI 20 entspricht: πάσας δέ τάς αισθήσεις των ποιητών σύλλαβε έν σεαυτω, πυράς,
ύδατος, ξηρού και υγρού, και όμοΰ πανταχή είναι, έν γη, έν θαλάττη, έν ούρανω . . .
Nun besteht aber zwischen diesem und unserem Text doch ein Unterschied:
dort kontemplativ-ekstatisches Erlebnis, hier kultische Handlung mit eksta-
tischen Begleitphänomenen.
2 Geisterwelt im Glauben des Paulus 78 ff.; 125 ff.; 227 ff.; Kommentar
zu den Kleinen Paulusbriefen 71. 78f. 85f.
3 Hierhin gehört wohl die κλήσις der sog. Mithras-Liturgie, in der der
Betende nacheinander die „Erstlinge“ der in ihm vereinigten Elemente an-
ruft. Paulus hat Gal. 4,3 alle antiken Religionen unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet. Über die Mysterien von Kolossä wird weiter unten gehandelt
werden.
Martin Dibelius:
auf dem Weg 'per omnia elementa’. Also etwa: hinaufschreiten
aus dem unterirdischen Bezirk vorbei an Altären oder Bildern
der Elementargottheiten oder durch Räume, die ihnen geheiligt
sind. Damit verbunden das Gefühl, in den Elementen zu sein, ihre
Sphären — dank der Berufung durch die Göttin — gefahrlos
durchwandeln zu können1.
Da dieser Weg per omnia elementa den Mysten von den dii
inferi schließlich zu den dii superi führt, wird man an dem Sinn der
Handlung nicht zweifeln können: die Elemente repräsentieren die
Welt, die zwischen unten und oben liegt. Daß diese kosmischen
Gottheiten als Zwingherren des Menschen gedacht wurden, denen
er ausgeliefert ist, weil er ihnen entstammt, habe ich selbst in ver-
schiedenen Arbeiten zu zeigen versucht2: έξ ημών παγέντες, δτε
έγένεσΤε, πάλιν εις ημάς άναλυ-θ-ήσεσΕε, όταν δέη Τνήσκειν —
so rufen die Elemente dem Menschen zu (Philo, de spec. leg.
I 266 p. 252 Mangey). Und diese Herrschaft verdammt den Men-
schen zu immerwährender Abhängigkeit im Sinne der Goetheschen
Ανάγκη: „Bedingung und Gesetz; und aller Wille ist nur ein
Wollen, weil wir eben sollten." In solcher Abhängigkeit hat der
Mensch zwei Mittel gefunden, sein Dasein erträglich zu gestalten:
er muß die Elemente anbeten, um nicht von ihnen geschädigt zu
werden3 oder er muß sich einer Gottheit anvertrauen, die ihrer-
seits den Elementen gebietet und ihren Schützling vor jeglicher
Bedrohung durch die στοιχεία sicherstellt. Das letzte ist unser
Fall: die Gnade der Isis hat den Mysten gefeit und er kann ohne
Schaden zu nehmen aus dem Totenreich durch die Regionen der
1 Ygl. Reitzenstein, Hellenist. Mysterienreligionen 85: „auch Apu-
lejus hat die dei superi et inferi geschaut und sich in allen Elementen gefühlt.“
Aber diese Formulierung legt die Deutung auf rein subjektives Erleben nahe,
wie es etwa der von Reitzen stein a. a. O. 121 zitierten Stelle Corpus Herrn.
XI 20 entspricht: πάσας δέ τάς αισθήσεις των ποιητών σύλλαβε έν σεαυτω, πυράς,
ύδατος, ξηρού και υγρού, και όμοΰ πανταχή είναι, έν γη, έν θαλάττη, έν ούρανω . . .
Nun besteht aber zwischen diesem und unserem Text doch ein Unterschied:
dort kontemplativ-ekstatisches Erlebnis, hier kultische Handlung mit eksta-
tischen Begleitphänomenen.
2 Geisterwelt im Glauben des Paulus 78 ff.; 125 ff.; 227 ff.; Kommentar
zu den Kleinen Paulusbriefen 71. 78f. 85f.
3 Hierhin gehört wohl die κλήσις der sog. Mithras-Liturgie, in der der
Betende nacheinander die „Erstlinge“ der in ihm vereinigten Elemente an-
ruft. Paulus hat Gal. 4,3 alle antiken Religionen unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet. Über die Mysterien von Kolossä wird weiter unten gehandelt
werden.