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Franz Rosenzweig:
1800 formulierte Schelling deutlicher: die Erfahrung sei blind und
müsse ihren eigenen Reichtum und Mangel erst aus der Natur-
philosophie einsehen lernen, die Fortschritte der Erfahrung müßten
durch die Ideen der Naturphilosophie, „die zur Erfindung führen“,
beschleunigt werden.
So hatte 1795 die Tendenz obgewaltet, die Natur als das
Gebiet des moralischen Ichs philosophisch zu konstruieren; Ende:
96, nachdem inzwischen die erste Beschäftigung mit Naturwissen-
schaft stattgehabt hatte, war der Grundgedanke einer Natur-
philosophie da, einer spekulativen „Physik“’ nach Schillings ge-
wöhnlichem Terminus, die den Weg vom Stoff zum Geist aufzeigt,
der Erfahrung nicht feind, doch mächtig über sie durch Ideen,
und bald nicht mehr ein Gebiet der praktischen, sondern das An-
wendungsgebiet der theoretischen Philosophie. — Mit welchen Er-
wartungen mag der junge Philosoph sich getragen haben, als er
sich entschloß, naturwissenschaftliche Vorlesungen zu hören, und
so den Weg betrat, der zunächst dem eben bezeichneten Ziele
zuführen sollte ?
*
„Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die
„Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen
„beschaffen sein ? Ich möchte unserer langsamen an Experimenten
„mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben.
„So — wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die
„Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen be-
kommen, die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint
„nicht, daß die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der
„unserige ist oder sein soll, befriedigen könne.
* *
*
Als im Jahre 1798 Goethe dem jungen Genie, das er an die
Jenenser Universität zu ziehen dachte, ein wenig in politicis auf
den Zahn gefühlt hatte, stellte er mit Befriedigung fest, von
„Sansculottentournüre“ habe er nichts an ihm bemerken können.
Dieser Ruf scheint ihm also vorausgegangen zu sein. Schon 1796,
als er seine Hofmeisterstelle bei den Baronen Riedesel antrat,
war er gefragt worden, ob er „Demokrat, Aufklärer, Illuminat usw.“
sei, und der einstige Teilnehmer des Revolutionsrausches am
Tübinger Stift hatte damals, um die Wende von 95 auf 96, den
Franz Rosenzweig:
1800 formulierte Schelling deutlicher: die Erfahrung sei blind und
müsse ihren eigenen Reichtum und Mangel erst aus der Natur-
philosophie einsehen lernen, die Fortschritte der Erfahrung müßten
durch die Ideen der Naturphilosophie, „die zur Erfindung führen“,
beschleunigt werden.
So hatte 1795 die Tendenz obgewaltet, die Natur als das
Gebiet des moralischen Ichs philosophisch zu konstruieren; Ende:
96, nachdem inzwischen die erste Beschäftigung mit Naturwissen-
schaft stattgehabt hatte, war der Grundgedanke einer Natur-
philosophie da, einer spekulativen „Physik“’ nach Schillings ge-
wöhnlichem Terminus, die den Weg vom Stoff zum Geist aufzeigt,
der Erfahrung nicht feind, doch mächtig über sie durch Ideen,
und bald nicht mehr ein Gebiet der praktischen, sondern das An-
wendungsgebiet der theoretischen Philosophie. — Mit welchen Er-
wartungen mag der junge Philosoph sich getragen haben, als er
sich entschloß, naturwissenschaftliche Vorlesungen zu hören, und
so den Weg betrat, der zunächst dem eben bezeichneten Ziele
zuführen sollte ?
*
„Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die
„Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen
„beschaffen sein ? Ich möchte unserer langsamen an Experimenten
„mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben.
„So — wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die
„Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen be-
kommen, die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint
„nicht, daß die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der
„unserige ist oder sein soll, befriedigen könne.
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Als im Jahre 1798 Goethe dem jungen Genie, das er an die
Jenenser Universität zu ziehen dachte, ein wenig in politicis auf
den Zahn gefühlt hatte, stellte er mit Befriedigung fest, von
„Sansculottentournüre“ habe er nichts an ihm bemerken können.
Dieser Ruf scheint ihm also vorausgegangen zu sein. Schon 1796,
als er seine Hofmeisterstelle bei den Baronen Riedesel antrat,
war er gefragt worden, ob er „Demokrat, Aufklärer, Illuminat usw.“
sei, und der einstige Teilnehmer des Revolutionsrausches am
Tübinger Stift hatte damals, um die Wende von 95 auf 96, den