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Franz Rosenzweig:
Durfte man von einem „ästhetischen Idealismus“ Schillings
sprechen ? War je wirklich die Kunst das Höchste in seinem
System ? und wenn sie es war, in welchem Sinn ?
Das System des transzendentalen Idealismus von 1800 gibt
am Schluß des Abschnittes von der Kunst einen merkwürdigen
Ausblick. Der Kunst kann es gelingen, „das, was der Philosoph
nur subjektiv darzustellen vermag, mit allgemeiner Gültigkeit
objektiv zu machen“. Alle Philosophie wird deswegen wie sie in
ihrer Kindheit „von der Poesie geboren und ernährt“ worden ist,
„einst wieder zur Poesie zurückkehren“. „Welches aber das
Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie sein wird,
ist im allgemeinen nicht schwer zu sagen, da ein solches Mittelglied
in der Mythologie existiert hat, ehe diese wie es jetzt scheint un-
auflösliche Trennung geschehen ist.“ Eine neue Mythologie,
„nicht die Erfindung eines einzelnen Dichters, sondern eines neuen
nur Einen Dichter gleichsam vorstehenden Geschlechts“ also wird
die Ergebnisse der Philosophie „allgemeingültig“ machen.
Soviel ist deutlich. Auch als er das System des transzenden-
talen Idealismus schrieb, hat Schelling jenseits der Kunst noch
ein Reich gesehen, wo durch eine „Mythologie“ die an sich keiner
„allgemeinen Geltung“ fähige Philosophie zur Sache aller würde;
es gab für ihn ein, zwar nur durch die Kunst zu verwirklichendes,
aber gleichwohl nicht mit ihr einerleies Ziel menschheitlicher Ent-
wicklung. Die sittliche Einheit des weltgeschichtlichen End-
zustands, wie ihn das System des transzendentalen Idealismus
annimmt, und die Absolutheit der Kunst finden ihr gemeinsames
Rand und ihre gemeinsame Verwirklichung in der „Mythologie“.
Als Schelling vier Jahre später die entschiedene Abwendung von
der Absolutheit der Kunst zur Religion vornahm, da geschah es
wieder an dem Leitseil dieses Regriffes, der von da ab zentrale
Redeutung für ihn behielt, und 1800 hatte er eben für diesen Ge-
danken auf eine „schon vor mehreren Jahren ausgearbeitete Ab-
handlung über Mythologie“ hinweisen können.
Die Abhandlung ist nun nicht erhalten — wohl aber ist be-
kannt, daß schon Schellings früheste Schriften dieses Gebiet be-
handelt haben, insbesondere die von 1793 „über Mythen, Sagen
und Philosopheme der ältesten Welt“. Er gibt da eine ausführ-
liche Untersuchung über das Verhältnis der Mythologie zur Philo-
sophie. Die eine, unwichtigere, Hälfte des Gedankens von 1800
ist damals schon voll ausgebildet: „die ältesten Urkunden aller
Franz Rosenzweig:
Durfte man von einem „ästhetischen Idealismus“ Schillings
sprechen ? War je wirklich die Kunst das Höchste in seinem
System ? und wenn sie es war, in welchem Sinn ?
Das System des transzendentalen Idealismus von 1800 gibt
am Schluß des Abschnittes von der Kunst einen merkwürdigen
Ausblick. Der Kunst kann es gelingen, „das, was der Philosoph
nur subjektiv darzustellen vermag, mit allgemeiner Gültigkeit
objektiv zu machen“. Alle Philosophie wird deswegen wie sie in
ihrer Kindheit „von der Poesie geboren und ernährt“ worden ist,
„einst wieder zur Poesie zurückkehren“. „Welches aber das
Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie sein wird,
ist im allgemeinen nicht schwer zu sagen, da ein solches Mittelglied
in der Mythologie existiert hat, ehe diese wie es jetzt scheint un-
auflösliche Trennung geschehen ist.“ Eine neue Mythologie,
„nicht die Erfindung eines einzelnen Dichters, sondern eines neuen
nur Einen Dichter gleichsam vorstehenden Geschlechts“ also wird
die Ergebnisse der Philosophie „allgemeingültig“ machen.
Soviel ist deutlich. Auch als er das System des transzenden-
talen Idealismus schrieb, hat Schelling jenseits der Kunst noch
ein Reich gesehen, wo durch eine „Mythologie“ die an sich keiner
„allgemeinen Geltung“ fähige Philosophie zur Sache aller würde;
es gab für ihn ein, zwar nur durch die Kunst zu verwirklichendes,
aber gleichwohl nicht mit ihr einerleies Ziel menschheitlicher Ent-
wicklung. Die sittliche Einheit des weltgeschichtlichen End-
zustands, wie ihn das System des transzendentalen Idealismus
annimmt, und die Absolutheit der Kunst finden ihr gemeinsames
Rand und ihre gemeinsame Verwirklichung in der „Mythologie“.
Als Schelling vier Jahre später die entschiedene Abwendung von
der Absolutheit der Kunst zur Religion vornahm, da geschah es
wieder an dem Leitseil dieses Regriffes, der von da ab zentrale
Redeutung für ihn behielt, und 1800 hatte er eben für diesen Ge-
danken auf eine „schon vor mehreren Jahren ausgearbeitete Ab-
handlung über Mythologie“ hinweisen können.
Die Abhandlung ist nun nicht erhalten — wohl aber ist be-
kannt, daß schon Schellings früheste Schriften dieses Gebiet be-
handelt haben, insbesondere die von 1793 „über Mythen, Sagen
und Philosopheme der ältesten Welt“. Er gibt da eine ausführ-
liche Untersuchung über das Verhältnis der Mythologie zur Philo-
sophie. Die eine, unwichtigere, Hälfte des Gedankens von 1800
ist damals schon voll ausgebildet: „die ältesten Urkunden aller