Metadaten

Driesch, Hans [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 3. Abhandlung): Logische Studien über Entwicklung, 1 — Heidelberg, 1918

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37665#0066
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
66

HANS DRIESCH :

gelten und gelten werden, was, wie HuME endgültig gezeigt hat, niemals
sicher gewußt werden kann. Geseke sind Klassen mit gleichen Fällen, sie
betreffen das Verknüpftsein mit einander oder nach einander^.
Die Redewendung ,,es wäre möglich gewesen" (z. B. daß Napoleon I.
in Ägypten umgekommen wäre), bezieht sich auf eine angenommene Geltung
Naturgesetze in der Vergangenheit; die Wendung ,,es ist möglich",
(z. B. daß es morgen regnet), bezieht sich auf zukünftiges Gelten.
Aber ist nicht nur das ,.möglich gewesen", was wirklich gewesen ist
oder ist, und ist nicht nur das, was wirklich sein wird, heute ,,möglich"? Wer
die eindeutige Bestimmtheit alles Werdens lehrt, muß wohl so sagen,
und zwar ganz gleichgültig, ob er Mechanist oder Vitalist ist oder ob er gar
jede Einzelheit des Naturseins, im Sinne eines Ordnungsmonismus, durch
Ganze bestimmt sein läßt. Von AatarmogAcMeit reden, heißt dann eigent-
lich nur: das eigene Nichtwissen in Sachen des Naturgeschehens und
seines Zusammenhanges bekennen. ,.Potentiale", im weitesten Sinne des
Wortes, die sich nicht verwirklichen, hat es nicht gegeben und gibt es nicht.
Aber gerade der experimentierende Naturforscher ist hier in einer selt-
samen Lage, gerade er, der so stark am Satze von der eindeutigen Bestimmt-
heit festhält. Seine Gesetze sind ja doch durch das Experiment festge-
stellt, d. h. dadurch, daß er die Einzelheiten des ihm bekannten Naturso-
seins ,.absichtlich" sonderte und ,,absichtlich" verknüpfte. Gesetze sind
ihm ,,Gesetze" geradezu nur unter dem Gedanken, daß die Sonderungen und
Verknüpfungen seines Experimentes auch an anderen Natureinzel-
heiten, also an anderen Mengen Wasser oder Schwefelsäure, an anderen
Eiern oder Organismen als an den von ihm behandelten ,,möglich gewesen
wären."
Wird damit sein Begriff des Aa?M7wogA'cA<?7i nicht doch, so zu sagen,
,,objektiv"? Sauerstoff hat chemische Potentiale und Affinitäten auch da,
wo er sie nicht äußert, und auch ein Regenwurm, der nie einen Körperteil
verlor, hat das ,.Vermögen" zur Regeneration. Denn der Experimentator
,,hätte" ja mit anderen Mengen Sauerstoff oder mit anderen tierischen In-
dividuen arbeiten ,.können".
Seltsam — gerade der Freiheitsbegriff stellt sich ein, wo der Begriff
der eindeutigen Bestimmtheit sich zum Gesetzesbegriff, mit Inhalt erfüllt,
ausgestalten soll. Denn daß der Experimentator an anderen Natureinzel-
heiten ,,hätte arbeiten können", dieser Satz scheint doch zu meinen, daß sein
eigenes Tun, sein Arbeiten selbst eben nicht fest bestimmt gewesen sei,
daß jedenfalls der Experimentator sich und seine Sache so ansehe, als ,,hätte"
er auch anders ,.gekonnt", als wäre er frei gewesen. Ohne diese Annahme
scheint auf den ersten Blick der Gesetzesbegriff, auf den er hinauswill, sinnlos
zu sein.
Aber ist nun diese Annahme von ,.Freiheit" ernst gemeint? Oder wie
ist sie sonst gemeint ?
Man sieht: wir stehen hier vor sehr schwierigen Fragen.
Im ganz reinen und strengen Experiment steht ein ,,Fall" für die ganze
Klasse. Aber ganz reine Experimente gibt es nicht, ja, kann es für den Men-

* 0. A., Seite 149 f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften