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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0005
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Warburg: Heidn.-ant. Weissagung in Wort u. Bild zu Luthers Zeiten. 5

und Süden wiederauferstellen, nicht nur als künstlerische Er-
scheinungen, sondern auch als religiöse Wesen aufzufassen und zu
untersuchen, lernen wir allmählich begreifen, welche Schicksals-
macht der Fatalismus der hellenistischen Kosmologie auch für
Deutschland war, selbst noch im Zeitalter der Reformation; der
heidnische Augur, der noch dazu unter dem Deckmantel der
naturwissenschaftlichen Gelehrsamkeit auftrat, war schwer zu
bekämpfen, geschweige zu besiegen.
Die klassisch-veredelte, antike Götterwelt ist uns seit Winckel-
mann freilich so sehr als Symbol der Antike überhaupt eingeprägt,
daß wir ganz vergessen, daß sie eine Neuschöpfung der gelehrten
humanistischen Kultur ist; diese „olympische“ Seite der Antike
mußte ja erst der althergebrachten „dämonischen“ abgerungen
werden; denn als kosmische Dämonen gehörten die antiken Götter
ununterbrochen seit dem Ausgange des Altertums zu den reli-
giösen Mächten des christlichen Europa und bedingten dessen
praktische Lebensgestaltung so einschneidend, daß man ein von
der christlichen Kirche stillschweigend geduldetes Nebenregiment
der heidnischen Kosmologie, insbesondere der Astrologie, nicht
leugnen kann. Durch getreue Überlieferung auf der Wanderstraße
vom Hellenismus her über Arabien, Spanien und Italien nach
Deutschland hinein (wo sie schon von 1470 ab in der neuen Druck-
kunst in Augsburg, Nürnberg und Leipzig in Wort und Bild eine
wanderlustige Renaissance vollführen) waren die Gestirngötter in
Bild und Sprache lebendige Zeitgottheiten geblieben, die jeden
Zeitabschnitt im Jahreslauf, das ganze Jahr, den Monat, die
Woche, den Tag, die Stunde, Minute und Sekunde, mathematisch
bezeichneten, zugleich aber mythisch-persönlich beherrschten. Sie
waren dämonische Wesen von unheimlich entgegengesetzter Doppel-
macht: als Stern Zeichen waren sie Raumerweiterer, Richtpunkte
beim IHuge der Seele durch das Weltall, als Sternbilder Götzen
zugleich, mit denen sich die arme Kreatur nach Kindermenschenart
durch ehrfürchtige Handlungen mystisch zu vereinigen strebte.
Der Sternkundige der Reformationszeit durchmißt eben diese dem
heutigen Naturwissenschaftler unvereinbar erscheinenden Gegen-
pole zwischen mathematischer Abstraktion und kultlieh verehrender
Verknüpfung wie Umkehrpunkte einer einheitlichen weitschwin-
genden urtümlichen Seelenverfassung. Logik, die den Denk-
raum — zwischen Mensch und Objekt — durch begrifflich son-
dernde Bezeichnung schafft und Magie, die eben diesen
 
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