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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0006
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A. Warburg:

Denkraum durch abergläubisch zusammenziehende —ideelle
oder praktische — Verknüpfung von Mensch und Objekt wieder
zerstört, beobachten wir im weissagenden Denken der Astrologie
noch als einheitlich primitives Gerät, mit dem der Astrologe messen
und zugleich zaubern kann. Die Epoche, wo Logik und Magie wie
Tropus und Metapher (nach den Worten Jean Pauls3) „auf einem
Stamme geimpfet blühten“, ist eigentlich zeitlos, und in der kultur-
wissenschaftlichen Darstellung solcher Polarität liegen bisher un-
gehobene Erkenntniswerte zu einer vertieften positiven Kritik
einer Geschichtsschreibung, deren Entwicklungslehre rein zeit-
begrifflich bedingt ist.
Die Astrologen des Mittelalters trugen das hellenistische Erbe
von Bagdad über Toledo und Padua nach Norden; so gehörten
in Augsburg die Werke der arabischen und italienischen Astrologen
zu den ersten illustrierten Erzeugnissen der Buchdruckerpresse.
Daher stehen sich um die Wende des 15. Jahrhunderts sowohl
in Italien wie in Deutschland zwei Auffassungen der Antike gegen-
über: die uralte praktisch-religiöse und die neue künstlerisch-
ästhetische. Während die letztere in Italien zunächst zu siegen
scheint und auch in Deutschland Anhänger findet, erfährt die
astrologische Antike eine höchst eigentümliche, bisher noch gar
nicht genügend beachtete Renaissance in Deutschland dadurch,
daß die in der Weissagungsliteratur fortlebenden Gestirnsymbole
—- vor allem die menschengestaltigen sieben Planeten ■— aus der
kampfdurchtobten sozialen und politischen Gegenwart eine Blut-
erneuerung erfahren, die sie gewissermaßen zu politischen Augen-
blicksgöttern macht. Neben diesen menschenförmigen Schicksals-
3 „Doppelzweig des bildlichen Witzes.
Der bildliche Witz kann entweder den Körper beseelen, oder den Geist
verkörpern.
Ursprünglich, wo der Mensch noch mit der Welt auf Einem Stamme
geimpfet blühte, war dieser Doppel-Tropus noch keiner; jener verglich nicht
Unähnlichkeiten, sondern verkündigte Gleichheit; die Metaphern waren, wie
bei Kindern, nur abgedrungene Synonymen des Leibes und Geistes. Wie im
Schreiben Bilderschrift früher war als Buchstabenschrift, so war im Sprechen
die Metapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenstände bezeichnet,
das frühere Wort, welches sich erst allmählich zum eigentlichen Ausdruck
entfärben mußte. Das tropische Beseelen und Beieiben fiel noch in Eins
zusammen, weil noch Ich und Welt verschmolz. Daher ist jede Sprache in
Rücksicht geistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblaßter Metaphern.“ (Vor-
schule der Ästhetik § 50.)
 
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