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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0046
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A. Warburg:

vnser Hertz ist Christi Königlicher eigner Sitz / da wil er Regent vnd
Platzmeister bleiben.
Diese Überlieferung klingt sehr echt. Wir haben von Luther
ganz ähnliche Äußerungen über den Kampf mit dem Kopfwehteufel,
der für ihn ein höchst persönliches Wesen war84. Die humorvolle
Tönung bei Herberger kann das nicht verschleiern; denn so scharf
Luther auch die menschenartigen Sterndämonen ablehnte, so bild-
haft fest umrissen und unanzweifelbar lebte für ihn der böse Feind.
Er gestand ihm sogar in der Vorrede zu Lichtenberger85 gelegent-
liche Treffsicherheit in Weissagungen zu, wenn auch nur soweit,
als weltliche Zustände in Betracht kamen. Gerade über Lichten-
bergers Verhältnis zum Teufel besitzen wir noch eine sehr will-
kommen ergänzende Äußerung Luthers. Er wurde gefragt, ob
Lichtenberger einen guten oder bösen Geist gehabt hätte. „Fuit
Spiritus fanaticus et tarnen multa praedixit; denn das kan der
Teufel woll thun, quod novit corda eorum quos possidet. Praeterea
novit conditionem mundi, er siehet wie es gehe“86. Er hielt also
den besessenen, verteufelten Charakter Lichtenbergers für durch-
aus vereinbar mit zutreffender Wahrsagergabe in irdischen Dingen.
Ganz entsprechend heißt es in der Vorrede: „Denn Gotts Zeichen
vnd der Engel warnunge / sind gemenget mit des Satans eingeben
vnd Zeichen / wie die wellt denn werd ist / das es wüst vnternander
gehe vnd nichts vnterschiedlich erkennen kan.“ So konnte das
Teufelsbild von den Freunden Luthers in dem Bilderpressefeldzug
84 Goethe schenkt uns in der Geschichte der Farbenlehre eine eigen-
tümliche Polaritätspsychologie dieser Teufelsfürchtigkeit Luthers: „Wie viel
falsche Formeln zur Erklärung wahrer und unleugbarer Phänomene finden
sich nicht durch alle Jahrhunderte bis zu uns herauf. Die Schriften Luthers
enthalten, wenn man will, viel mehr Aberglauben als die unseres englischen
Mönchs (Bacon). Wie bequem macht sichs nicht Luther durch seinen Teufel,
den er überall bei der Hand hat, die wichtigsten Phänomene der allgemeinen
und besonders der menschlichen Natur auf eine oberflächliche und barbarische
Weise zu erklären und zu beseitigen; und doch ist und bleibt er, der er war,
außerordentlich für seine und für künftige Zeiten. Bei ihm kam es auf Tat an;
er fühlte den Konflikt, in dem er sich befand, nur allzu lästig, und indem
er sich das ihm Widerstrebende recht häßlich, mit Hörnern, Schwanz und
Klauen dachte, so wurde sein heroisches Gemüt nur desto lebhafter aufgeregt,
dem Feindseligen zu begegnen und das Gehaßte zu vertilgen.“ Werke,
Cotta Jub.-Ausg., Bd. 40, S. 165/66.
85 Vgl. unten S. 85.
86 Gg. Loesche, Analecta Lutherana et Melanthoniana (Gotha 1892),
S. 301, Nr. 493.
 
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