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Ernst Lohmeyer:
zung von Erde und Himmel auch die gleiche ist wie in der griechi-
schen Religion, so ist sie doch aus andern Seelengründen neu er-
wachsen. Denn die Wirklichkeit, aus der das Symbol lebendig
geworden ist, ist nicht mehr die der Erde, die das Göttliche in
sich schließt, sondern der Himmel, dessen ewig unzulängliches
Gleichnis die Erde ist. So ist das Symbol innig, innerlich geworden,
zu dem Glauben einer frommen Seele, die jenseits der Natur und
ihres Lebens ihre Erfüllung findet, und, weil sie doch der Natur
nicht entraten kann, sie zum Symbol der einzigen himmlischen
Wirklichkeit wandelt und so einen leisen Schimmer irdischer
Lebendigkeit in ihr einsam innerliches Leben hinüberrettet1.
Wir stehen am Ende unserer Untersuchung. Zwar ist die
Vorstellung, die im Mittelalter dem Duftsymbol Leben und Gestalt
gab, nicht mit dem Mittelalter zu Ende gegangen. Sie hat sich
an den Weihrauchdüften des katholischen Kultus wieder und
wieder entzündet; und bevor die alles Sinnlich-Vitale in der
Religion vernichtende Kraft des Protestantismus den Glauben in
die Sphäre des Volksaberglaubens2 hinabgedrückt hat, ist es in
1 So ist es nicht zufällig, daß gerade in den Urkunden, die aus den
Kreisen der kirchlichen Mystik des deutschen Mittelalters stammen, das
Duftsymbol am innigsten lebendig wird. H. Wilms hat in einer Arbeit über
„Das Beten der Mystikerinnen“ (Quellen u. Forschungen zur Geschichte des
Dominikanerordens in Deutschland, her. v. P. v. Loe u. B. M. Reichert,
Heft 11 (1916) S. 148 ff.) eine Anzahl Beispiele hierfür aus den Chroniken
schweizerischer Dominikanerinnen-Klöster gesammelt. Die Bedeutung des
Duftes ist dabei die altvertraute: Er kündet das Erscheinen des himmlischen
Herrn an, oder zeugt von der gotterfüllten Heiligkeit der Mitschwestern,
oder umschwebt als himmlischer Rosenduft den Leichnam der Sterbenden.
Bezeichnend aber ist, daß diese Geruchswahrnehmungen in den ekstatischen
Visionen der betenden Mystikerinnen auftreten. Hier wird vielleicht eine
psychologische Wurzel für die Wiederkehr des alten Duftmotivs auch in
späteren Zeiten aufgedeckt. Doch führt eine Betrachtung über die psycho-
logischen Erklärungsmöglichkeiten der angedeuteten Phänomene hier zu weit.
2 ln den Viten der Heiligen kehrt der Zug oft wieder. In cap. 15 der Vita
des Fra Egidio, den Leo XIII. beatifizierte, wird berichtet, daß die Glieder
seines Leichnams biegsam blieben, daß das Blut sich in flüssigem Zustand
erhielt, daß der Leichnam kein Zeichen der Verwesung zeigte und einen über-
natürlichen Geruch aushauchte. Von St. Anna erzählt eine in Lyon 1863 er-
schienene Lebensbeschreibung: La vie de Sainte Anne (nach Acta Sanct.
VI, 233ff.): aussitöt une odeur semblable ä celle du bäume se repand. — La
caisse ouverte, une odeur suave se repandit dans l’une et l’autre crypte pour
la confirmation du miracle. In einem Panegyrikus auf „Das Blut des St. Gen-
Ernst Lohmeyer:
zung von Erde und Himmel auch die gleiche ist wie in der griechi-
schen Religion, so ist sie doch aus andern Seelengründen neu er-
wachsen. Denn die Wirklichkeit, aus der das Symbol lebendig
geworden ist, ist nicht mehr die der Erde, die das Göttliche in
sich schließt, sondern der Himmel, dessen ewig unzulängliches
Gleichnis die Erde ist. So ist das Symbol innig, innerlich geworden,
zu dem Glauben einer frommen Seele, die jenseits der Natur und
ihres Lebens ihre Erfüllung findet, und, weil sie doch der Natur
nicht entraten kann, sie zum Symbol der einzigen himmlischen
Wirklichkeit wandelt und so einen leisen Schimmer irdischer
Lebendigkeit in ihr einsam innerliches Leben hinüberrettet1.
Wir stehen am Ende unserer Untersuchung. Zwar ist die
Vorstellung, die im Mittelalter dem Duftsymbol Leben und Gestalt
gab, nicht mit dem Mittelalter zu Ende gegangen. Sie hat sich
an den Weihrauchdüften des katholischen Kultus wieder und
wieder entzündet; und bevor die alles Sinnlich-Vitale in der
Religion vernichtende Kraft des Protestantismus den Glauben in
die Sphäre des Volksaberglaubens2 hinabgedrückt hat, ist es in
1 So ist es nicht zufällig, daß gerade in den Urkunden, die aus den
Kreisen der kirchlichen Mystik des deutschen Mittelalters stammen, das
Duftsymbol am innigsten lebendig wird. H. Wilms hat in einer Arbeit über
„Das Beten der Mystikerinnen“ (Quellen u. Forschungen zur Geschichte des
Dominikanerordens in Deutschland, her. v. P. v. Loe u. B. M. Reichert,
Heft 11 (1916) S. 148 ff.) eine Anzahl Beispiele hierfür aus den Chroniken
schweizerischer Dominikanerinnen-Klöster gesammelt. Die Bedeutung des
Duftes ist dabei die altvertraute: Er kündet das Erscheinen des himmlischen
Herrn an, oder zeugt von der gotterfüllten Heiligkeit der Mitschwestern,
oder umschwebt als himmlischer Rosenduft den Leichnam der Sterbenden.
Bezeichnend aber ist, daß diese Geruchswahrnehmungen in den ekstatischen
Visionen der betenden Mystikerinnen auftreten. Hier wird vielleicht eine
psychologische Wurzel für die Wiederkehr des alten Duftmotivs auch in
späteren Zeiten aufgedeckt. Doch führt eine Betrachtung über die psycho-
logischen Erklärungsmöglichkeiten der angedeuteten Phänomene hier zu weit.
2 ln den Viten der Heiligen kehrt der Zug oft wieder. In cap. 15 der Vita
des Fra Egidio, den Leo XIII. beatifizierte, wird berichtet, daß die Glieder
seines Leichnams biegsam blieben, daß das Blut sich in flüssigem Zustand
erhielt, daß der Leichnam kein Zeichen der Verwesung zeigte und einen über-
natürlichen Geruch aushauchte. Von St. Anna erzählt eine in Lyon 1863 er-
schienene Lebensbeschreibung: La vie de Sainte Anne (nach Acta Sanct.
VI, 233ff.): aussitöt une odeur semblable ä celle du bäume se repand. — La
caisse ouverte, une odeur suave se repandit dans l’une et l’autre crypte pour
la confirmation du miracle. In einem Panegyrikus auf „Das Blut des St. Gen-