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Hermann Ammann:
dichtzeile. Wir erhalten somit, das wichtige Ergebnis, daß es Sätze
gibt, deren Verneinung ihren Sinn nicht umkehrt, sondern zerstört.
Es bedarf nur des Versuchs, den jeder selbst anstellen kann, um
sich darüber klar zu werden, daß aus der Verneinung eines lyrischen
„Behauptungssatzes“ bestenfalls eine unlyrische Behauptung werden
kann, durch die der lyrische Satz nicht im geringsten berührt wird;
meist aber wird ein Gebilde von öder Sinnlosigkeit herauskommen.
Hiermit ist nun nicht etwa nur ein spielerischer Mißbrauch
der sprachlichen Formen aufgezeigt —- es ist der Blick eröffnet auf
eine neue, bisher kaum beachtete Sphäre der sprachlichen Welt;
wir erkennen, daß das Wort nicht nur Vorstellungen ausdrückt,
sondern auch Vorstellungen schafft.
Das Eigenartige der schöpferischen Sprachbetätigung liegt da-
rin, daß sie nicht an ein Bekanntes, Gegebenes anknüpft, um von
ihm etwas auszusagen oder es zu einem andern Bekannten, Ge-
gebenen in Beziehung zu setzen. Frei, beziehungslos steigen die
Vorstellungen vor unserm Auge auf und schließen sich zu Bildern
zusammen. Wohl bedürfen wir der Kenntnis der Wortbedeutungen,
um ihren Sinn zu erfassen: aber dieser Sinn ist auf eine allgemeinste,
von unserm persönlichen Erleben, von den uns mit dem Gegenstand
real verknüpfenden Beziehungen losgelöste Höhe gehoben. Und
vor allem: wir sollen nicht erfahren, daß mit dem Gegenstand dies
oder jenes geschehen ist oder geschieht, sondern wir sollen uns
einen Gegenstand vorstellen, mit dem dies oder jenes geschähe:
einen Menschen, der im Walde für sich hin geht, einen Mondauf-
gang in einer Landschaft mit Wald und Wiesen.
Diese Fähigkeit der Sprache, Bilder frei zu schaffen, beschränkt
sich keineswegs auf den engen Bereich der dichterischen Produk-
tion. Sie geht vielmehr Pland in Hand mit einem ganz elementaren
Grundtrieb des Sprachlebens, der wohl in gewissen Formen der
Sprachäußerung unterdrückt sein mag — wie etwa in der mathe-
matischen Formel oder im Kurszettel —, der aber mindestens so
grundlegend und bestimmend für den inneren Bau unseres ganzen
sprachlichen Organismus ist, wie diejenigen Motive, denen wir auf
dem Boden der konkret-zweckbestimmten, eindeulig bezogenen Mit-
teilungs-Äußerung als den maßgebenden begegnen. Wir wenden
uns also zunächst dem Begriff der Mitteilung zu und suchen uns
über ihre treibenden Kräfte klar zu werden. Sodann werden wil-
den Übergang zur Bestimmung jenes andern Grundtriebes zu ge-
winnen suchen,
Hermann Ammann:
dichtzeile. Wir erhalten somit, das wichtige Ergebnis, daß es Sätze
gibt, deren Verneinung ihren Sinn nicht umkehrt, sondern zerstört.
Es bedarf nur des Versuchs, den jeder selbst anstellen kann, um
sich darüber klar zu werden, daß aus der Verneinung eines lyrischen
„Behauptungssatzes“ bestenfalls eine unlyrische Behauptung werden
kann, durch die der lyrische Satz nicht im geringsten berührt wird;
meist aber wird ein Gebilde von öder Sinnlosigkeit herauskommen.
Hiermit ist nun nicht etwa nur ein spielerischer Mißbrauch
der sprachlichen Formen aufgezeigt —- es ist der Blick eröffnet auf
eine neue, bisher kaum beachtete Sphäre der sprachlichen Welt;
wir erkennen, daß das Wort nicht nur Vorstellungen ausdrückt,
sondern auch Vorstellungen schafft.
Das Eigenartige der schöpferischen Sprachbetätigung liegt da-
rin, daß sie nicht an ein Bekanntes, Gegebenes anknüpft, um von
ihm etwas auszusagen oder es zu einem andern Bekannten, Ge-
gebenen in Beziehung zu setzen. Frei, beziehungslos steigen die
Vorstellungen vor unserm Auge auf und schließen sich zu Bildern
zusammen. Wohl bedürfen wir der Kenntnis der Wortbedeutungen,
um ihren Sinn zu erfassen: aber dieser Sinn ist auf eine allgemeinste,
von unserm persönlichen Erleben, von den uns mit dem Gegenstand
real verknüpfenden Beziehungen losgelöste Höhe gehoben. Und
vor allem: wir sollen nicht erfahren, daß mit dem Gegenstand dies
oder jenes geschehen ist oder geschieht, sondern wir sollen uns
einen Gegenstand vorstellen, mit dem dies oder jenes geschähe:
einen Menschen, der im Walde für sich hin geht, einen Mondauf-
gang in einer Landschaft mit Wald und Wiesen.
Diese Fähigkeit der Sprache, Bilder frei zu schaffen, beschränkt
sich keineswegs auf den engen Bereich der dichterischen Produk-
tion. Sie geht vielmehr Pland in Hand mit einem ganz elementaren
Grundtrieb des Sprachlebens, der wohl in gewissen Formen der
Sprachäußerung unterdrückt sein mag — wie etwa in der mathe-
matischen Formel oder im Kurszettel —, der aber mindestens so
grundlegend und bestimmend für den inneren Bau unseres ganzen
sprachlichen Organismus ist, wie diejenigen Motive, denen wir auf
dem Boden der konkret-zweckbestimmten, eindeulig bezogenen Mit-
teilungs-Äußerung als den maßgebenden begegnen. Wir wenden
uns also zunächst dem Begriff der Mitteilung zu und suchen uns
über ihre treibenden Kräfte klar zu werden. Sodann werden wil-
den Übergang zur Bestimmung jenes andern Grundtriebes zu ge-
winnen suchen,