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Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 12. Abhandlung): Vom doppelten Sinn der sprachlichen Formen — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37779#0016
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16

Hermann Ammann:

Selbstmitteilung als individuellen Ausdruck des besonderen Erlebens
Sie steht in dieser Funktion der sprachlichen Erschöpfung gleich,
wenn sie auch im allgemeinen nicht mit dem rohen Material der
Laute, sondern mit dem vorgebildeten der bedeutungshaltigen Worte
arbeitet. Zunächst freilich möchte es scheinen, als ob auch für
die Selbstmitteilung das Ich des Sprechenden Thema, und das
beim Hörer vorausgesetzte Interesse für die Persönlichkeit des
Sprechenden in gleicher Weise wie bei der mitteilungs-äquivalenten
Interjektion die praktische Triebfeder der Mitteilung sei. Aber je
reiner die Selbstmitteilung sich darstellt, um so illusionärer wird
dieses Zusammenhangsmoment. Wir sahen bereits, daß es für die
Dichtung völlig ausgeschaltet werden kann: das Ich der Dichtung
ist nicht mehr die konkrete Persönlichkeit des Dichters, es ver-
mittelt uns nur die Vorstellung eines zu uns sprechenden Menschen,
der uns an seinem Erleben teilnehmen lassen will. Dieses „Teil-
nehmen“ vollzieht sich in der vollkommensten Weise, wenn wir
das Gedicht lesen und uns in seinen Inhalt einleben. Dem inter-
personellen, in den sozialen Zusammenhängen ruhenden Interesse
am Gegenstand, am Thema tritt hier das überpersönliche Inter-
esse am Erlebnis geh alt der Äußerung gegenüber; ein Interesse,
das wohl als ästhetisch in weitesten Sinne des Wortes bezeichnet
werden darf. Wenn das Wort Interesse auf den praktisch ge-
richteten Anteil beschränkt wird, so sind Äußerungen der letzten
Art in der Tat „interesselos“. Sie sind es auch insofern, als, je
mehr die ausgedrückten Vorstellungen als solche uns fesseln, um
so geringer unser Interesse dafür ist, ob sie außerhalb des Rahmens
der schöpferisch gestalteten Äußerung Existenz haben. Die Realität
der durch die Dichtung vermittelten Vorstellungen, die objektive
Gültigkeit des in der Erzählung scheinbar Rehaupteten ist weder
praktisch — für unsere Stellungnahme zu den Dingen, — noch
theoretisch — für unsere Erkenntnis von ihnen — irgend von Belang.
So tritt auf Seite des Sprechenden der Absicht der Mit-
teilung der Drang zur Selbstmilteilung im sprachlichen Gestalten
des Erlebnisses gegenüber; auf Seiten des Hörenden steht dem
•(theoretischen oder praktischen) Interesse am Gegenstand das
(ästhetische) Interesse am Inhalt parallel. Dort dient die Äuße-
rung dem Zweck der Mitteilung; hier ist sie Selbstzweck. Dort
knüpfen sich an sie praktische Folgen oder logische Folgerungen;
hier herrscht die Selbstgenügsamkeit des Spieles und der Kunst.
Zerfällt jede thematisch bestimmte Äußerung in ein, wenn auch
 
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