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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0014
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14

Gerhard Ritter:

Das war die Umgebung, in der Marsilius seine Studien trieb.
Einen näheren Einblick in den Inhalt seiner Lehrtätigkeit wird uns
die spätere Analyse seiner Bücher verschaffen. Einstweilen aber
lassen uns die Pariser Akten ziemlich deutlich das Charakterbild
des Mannes erkennen, der in diesen Jahren nicht nur zur beherr-
schenden Persönlichkeit seiner engeren Genossenschaft, sondern zu
einem der stärksten Charakterköpfe innerhalb des ganzen gewaltigen
Studienbetriebs heranwuchs. Wir sehen eine tatkräftige, herzhafte
Persönlichkeit, nicht minder gewandt in Rechts- und Organisations-
fragen als in den Disputationen der „modernen“ Logik, geneigt und
befähigt, alle Fragen auf eine klare, eindeutige Formel zu bringen
und dann mit Energie das Erkannte durchzuführen, und somit
berufen zum Vertrauensmann seiner Genossen, zum Vorkämpfer
der Deutschen vor Universität, Kanzler und Papst.
Es ist in der Tat überraschend, wie schnell es Marsilius zu An-
sehen unter den Genossen gebracht hat. Wenn man ihm schon
1363 das Prokuratorenamt, eine Art Dekanat, übertrug, so ist das
vielleicht nur ein Zeichen seiner Wohlhabenheit. Doch gelangte er
auch bald in die einträglichere Stellung eines Examinators, die er
oft bekleidete, und gehörte überhaupt zu den am häufigsten
gewählten Würdenträgern der Nation1. Seit 1369 erscheint sein
Name fast immer an erster Stelle, wenn es gilt, eine Kommission
zur Schlichtung innerer Streitigkeiten, zur Lösung und Durch-
fechtung von Rechtsangelegenheiten, zur Aufstellung der Bewerber-
listen für den Rotulus einzusetzen; wie selbstverständlich über-
nimmt er gelegentlich den Vorsitz im Magisterrate bei Verhinderung
des Prokurators2. Mehrfach erscheint er als Vertreter der Nation
bei der Rektorwahl und bekleidet selber zweimal (1367 und 1371)
das ehrenvolle, aber müh- und anspruchsvolle Amt eines Rektors
der Pariser Universität, dessen Repräsentationskosten gewiß nicht
jeder Magister zu tragen imstande war3: stritt doch der Rektor
bei öffentlichen Prozessionen mit dem Bischof von Paris um den
Vortritt und genoß den Vorzug, vom Könige mit den höchsten
1 Prokurator 4 mal: 1363, 1373, 1374, 1375 (Auct. I 285-6, 426, 458,
477). Examinator 8 mal: ibidem 293, 307, 408, 419 — 20, 443, 462, 481, 511.
Kassenverwalter (receptor) 1364: ibid. 298 — 9.
2 1369, febr. 10: Auct. I 326. Vgl. ferner Chart. III, p. 135; Auct. I,
409, 410, 436, 440, 442, 448, 472, 483, 486.
3 Intrans: Chart. III, p. 160, 212; Auct. I 450, 491. Rektor: Chart. III,
p. 166, 200; charakteristisch beide Male sein Stoßseufzer über labores und
expensae! Vgl. auch Budzinsky, 37.
 
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