Metadaten
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Studien zur Spätscholastik. I.

21

die ihren Grad nicht in Paris erworben hatten, obwohl die Statuten
eine solche Beschränkung nicht verlangten. Marsilius wurde zu-
sammen mit dem Prokurator beauftragt, eine günstige Entschei-
dung durch Rektor und Fakultät zu erwirken; wirklich setzte er
die schleunige Berufung einer Fakultätsversammlung durch und
verfocht hier wie auf einer zweiten Sitzung am folgenden Tage
„mit klaren Gründen, indem er zahlreiche Belege aus Fakultäts-
statuten und Herkommen beibrachte und die Belege der gallischen
Nation zerpflückte“, die Sache seiner Zunft. Wiederum ergab sich
die Parteistellung nach Nationalitäten: Pikarden auf der deutschen,
Normannen auf der gallischen Seite; doch fanden die Gegner den
Ausweg, aus Gefälligkeit (graciose) und ausnahmsweise, jedoch
nicht grundsätzlich nachzugeben1. Aber das Examen von St. Gene-
vieve blieb der Zankapfel der Nationen. Als Karl IV. im Januar
1378 einige Tage in hochpolitischen Angelegenheiten in Paris weilte,
baten ihn die Deutschen durch den Mund Heinrichs von Langen-
stein, beim Papste die Beseitigung ihrer ungerechten Behandlung
in St. Genovefa zu erwirken sccunclum quod nostri vocarentur secun-
dum merita personaram; offenbar glaubten sie also bei den Beru-
fungen des Kanzlers zur Examenskommission benachteiligt zu
werden2. Ihr weiterer Wunsch, den Namen „alemannische“ statt
„englische“ Nation zu führen, zeigt, daß sie sich des vorwiegend
deutschen Charakters ihrer Korporation bewußt waren3.
Inzwischen aber bereitete sich schon das universale Ereignis
vor, das die bestehenden Spannungen an der Pariser Universität
schließlich zur Katastrophe steigern sollte. Um die offene Empö-
rung Italiens zu beschwichtigen und der wilden Anarchie im Kirchen-
staat zu steuern, hatte Gregor XI. schon Ende 1376 dorthin über-
siedeln müssen; und angesichts der blutigen Kämpfe, in die er sich
alsbald verstrickt sah, wurde die Fortdauer des avignonesischen
Papsttums immer unwahrscheinlicher. Sicherlich hatte die Pariser
Universität, auch wenn sie diese Entwicklung nicht voraussah, allen
Grund, ihre alten engen Beziehungen zur Kurie jetzt mit verdoppel-
tem Eifer zu pflegen. Spätestens seit Herbst 1376 plante sie eine
1 1376, März 10 u. 11. Auct. I, 488-90.
2 Uber diese Verhältnisse vgl. Auct. I, p. XXXI.; das dort genannte
primum examen ist das temptamen (nach Chart. III, p. 307). Der Kanzler
hatte also indirekten Einfluß auf die Zulassung zu den Prüfungen.
3 Auct. I, 530 Ein dritter Wunsch ging auf Errichtung eines deutschen
Kollegiums.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften