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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0041
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Studien zur Spätscholastik. I.

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chung kasteit haben. Mißtrauisch stimmt diesen Dingen gegen-
über schon die rethorische Verwendung biblischer Tugendkataloge
(Tim. 3, 2 ff.; Tit. 1, 7 — 8 u. a.), noch mehr die Erinnerung an so
manche gut bezeugte Stunde fröhlichen Schiemmens. Sollte Mar-
silius, der Theologe, so gänzlich ein Mönch geworden sein ? Wer
vermag freilich heute die Möglichkeiten und Wandlungen einer
mittelalterlich frommen Seele noch zu ermessen und abzugrenzen!
Eine völlige Verzerrung so kurz nach dem Tode des Geschilderten
vor Augenzeugen ist nicht leicht vorzustellen; und so verdient
vielleicht doch die späte, angeblich mündliche Tradition eine
gewisse Beachtung, er sei den Heidelbergern Zeit seines Lebens
fast wie ein Heiliger erschienen1. Es gibt Nachrichten genug, die
vermuten lassen, allzu schwer sei das in dieser Umgebung nicht
gewesen.
Die Erinnerung an den selig Verstorbenen als den ,,Gründer
und Anfänger“ der Universität wurde ebenso wie das Andenken
an Konrad von Gelnhausen und Kurfürst Ruprecht I. durch eine
jährliche Seelenmesse gefeiert2, die noch 1528 abgehalten worden
ist. Als die Anhänger der von ihm in Heidelberg begründeten via
moderna Ende des 15. Jahrhunderts ihre Stellung gegen Realisten
und Humanisten verteidigen wollten, entstand eine ganze Samm-
lung von überschwänglichen Lobsprüchen, Distichen und andern
Versen zu seinem Preise in humanistischem Latein3.
Marsilius von Inghen hinterließ der Universität ein kost-
bares Vermächtnis: außer andern nicht genannten Erbstücken seine
große Bibliothek4. Ihr Inhalt führt uns höchst anschaulich noch
einmal die ganze Ausdehnung seiner vielseitigen Studien vor
Augen. Die Sammlung ist reicher als die irgend eines andern
Professors, der seine Bücher in diesem und dem folgenden Jahr-
hundert der Universität vermacht hat; reicher nicht nur an
Bändezahl5, sondern vor allem an Mannigfaltigkeit der Gegen-
1 In dem eben genannten Druck v. 1499, f. 18a: Graves viri asseverant
accepisse sese ex eis, qui M. novere, fuisse eum humanum, mansuetum, humilem,
fuisseque communem omnium de eo existimationem, ut vivens adhuc in hoc
seculo sanctitate preditus dijudicaretur.
2 Toepke I, 628, 636; weitere Notizen bei Thorbecke, anm. 16 u. 17
zu S. 9.
3 S. den eben genannten Inkunabeldruck.
4 Toepke I, 636; Katalog: 678. A. u. I, 6lV
5 Im ganzen 236 Werke; selbst die große Stiftung Konrad von Geln-
hausens umfaßte nur 211 Werke.
 
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