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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0043
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Studien zur Spätscholastik, I.

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und Figuren treten auf, darunter besonders interessant der Oxforder
Mathematiker Thomas Bradwardine, ferner Heinrich von Langen-
stein und der phantastische Name des Hermes Trismegistos. Ver-
hältnismäßig groß ist die Zahl der rhetorischen, poetischen und
historischen Schriften; vor allem aber ist bemerkenswert die starke
Vertretung der Antike. Da finden wir nicht nur die mittelalter-
lichen Troja- und Alexanderromane, Platons Timäus, Euklid,Galen,
Aristoteles und die wohlbekannten spätantiken Logiker: Boethius
und Isidor, sondern ebensogut einige Lieblinge der Humanisten:
Ovid, Cicero und Seneka; Lukan und Ganfridus super Lucanum:
Vegetius (de re militari), Valerius Maximus und Macrobius (de
somno Scipionis) vervollständigen das Bild. Sollte die Liste dieser
Namen nicht irgendwie zurückweisen auf die Anfänge des Huma-
nismus in Italien, Avignon und Paris ? Unzweifelhaft konnte der
Gesamtbestand einer solchen Bibliothek, wie sie Marsilius ver-
erbte, damals nur auf Reisen in Frankreich und Italien zusammen-
gebracht werden. Die gewerbsmäßige Schreibertätigkeit im Dienste
der Wissenschaft war in Deutschland noch verhältnismäßig jung.
Erst der Aufschwung des deutschen Universitätswesens brachte sie
auf die spätere Höhe; eben das ist eine der wichtigen sozialen
Folgen der neuen akademischen Massen-Bildung. Überall an den
bestehenden und neu sich bildenden Universitäten konzentrierte
sich die Schreibertätigkeit; bisher galt der Erfurter Amplonius
Ratinck als der früheste deutsche gelehrte Büchersammler. In
kleinerem Stile wird man Marsilius als seinen Vorgänger bezeichnen
dürfen. Es ist wohl kein Zufall, daß die Liste der antiken Schriften,
die er besaß, eine gewisse Übereinstimmung mit dem gleichzeitigen
Bestände der Bibliothek des Prager Karolinums aufweist, die einen
Kenner wie K. Burdach so lebhaft an Petrarcas antike Belesenheit
erinnerte1. Wir haben hier offenbar den wesentlichen Bestand
dessen vor uns, was im 14. Jahrhundert noch oder bereits wieder
an klassischen Autoren lebendig war. Aber wir erinnern uns auch
daran, daß uns Petrarka bereits einmal in der nächsten Umgebung
unseres Scholastikers begegnet ist: in dem Schreiben Heinrich von
Langensteins an König Wenzel2.
Jedenfalls bestätigt die Durchsicht der Bücher des Marsilius
durchaus den Eindruck der regen, lebendigen Persönlichkeit, die
wir aus den Geschehnissen seines Lebens, aus den Taten des Organi-

1 L. c. 120.
2 S. o. p. 31, N. 2.
 
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