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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0111
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Studien zur Spätscholastik. I.

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zwingenden Bann in der Richtung auf die unmittelbare Natur-
beobachtung zu durchbrechen und das allgemeine Niveau für künf-
tige Generationen zu erhöhen. Marsilius hat nicht zu ihnen gezählt.

4. Metaphysik und Theologie.
a) Das Erkenntnisproblem einer nominalistischen
Metaphysik.
Die Macht der aristotelischen Tradition hat sich in den Fragen
der Naturerkenntnis für Marsilius von Inghen weit stärker erwiesen,
als die so oft überschätzten Ansätze der nominalistischen Erkenntnis-
theorie zu einem logischen Rationalismus der bloßen Denkformen.
Der naive Empirismus dieses Okkamisten wendet aber sein Inter-
esse keineswegs nur den sinnlich erfahrbaren Einzeldingen zu:
er steigt mit der ganzen unbefangenen Zuversicht des hellenischen
Intellektualismus sogleich zu den metaphysischen Ursachen der
Weltbewegung auf. Das ganze physikalische Weltbild steckt voller
ausgesprochener oder unausgesprochener metaphysischer Voraus-
setzungen, die weit über die sinnliche Erfahrbarkeit hinausliegen.
Oder wie sollten solche Sätze wie die von der Notwendigkeit des
primus motor, von dem Streben aller Dinge nach dem Ort ihrer
höchsten Vollkommenheit u. a. m. ohne solche Voraussetzungen
bestehen können ?
Schon diese Beobachtung stimmt bedenklich gegenüber der
fast einstimmigen Behauptung, die nominalistische Grundrichtung
der Schule Okkams habe sie an der Ausbildung eines metaphysischen
Weltbildes gehindert oder sie zum mindesten skeptisch gestimmt
gegen die Beweisbarkeit metaphysischer Sätze. Rein logisch an-
gesehen besteht natürlich eine unleugbare Schwierigkeit, trotz der
nachdrücklichen Ablehnung jeder außermentalen Realität der
Allgemeinbegriffe zu einer Erfassung der allgemeinen Zusammen-
hänge des Wirklichen zu gelangen. Und in der Tat zeigt sich in
Okkams eigenen Schriften eine entschiedene Abneigung gegen weit-
gehende metaphysische und theologische Spekulationen. Er war
als Philosoph wesentlich Logiker. Er begriff die Wissenschaft mit
Aristoteles als eine Summe von Urteilen, die aus evidenten obersten
Prinzipien im Schlußverfahren ableitbar sind. Die Kette der Syl-
logismen knüpfte er mit gleich starkem Gliede einerseits an solche
oberste Sätze an, die in der bloßen Erfahrung begründet waren,
 
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