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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0113
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Studien zur Spätscholastik. I.

113

hörten1 ? Oder war etwa der Inhalt dieserVorlesungen zu mehr oder
weniger rein logischen Betrachtungen zusammengeschrumpft ? Das
metaphysische Compendium des Marsilius von Inghen soll uns die
Antwort auf diese Frage geben. Außer der gedruckten Meta-
physik Buridans ist dieses Handbuch die einzige metaphysische
Schrift der Okkamistenschule, deren Existenz mir bekannt ist;
untersucht hat diese Dinge m. W. bisher niemand.
Von den drei mir bekannten Handschriften benutzte ich die
vollständige Wiener Abschrift (Hs. nr. 75) — durch ihre gewerbs-
mäßige Herstellung, die Zeit ihrer Entstehung (1409) und ihre
Zugehörigkeit zu den Schätzen der Wiener Universität ein Doku-
ment der Verbreitung dieses Lehrbuches an den „modernen“ Uni-
versitäten2. Denn um ein akademisches Lehrbuch handelt es sich
unzweifelhaft: der Verfasser spricht es selbst aus3, die knappe
Fassung — oft bis zur Dunkelheit zusammengedrängt — und die
häufig eingeschalteten Erwiderungen auf Einwände der Scholaren
bestätigen es. Nach einer kurzen Einleitung, die durch ihr „Thema“:
eine Stelle aus den moralischen Briefen Senekas und die mehrfache
Zitierung antiker Autoren wie Isidor und Valerius Maximus In-
teresse erweckt, wird der wesentliche Inhalt der aristotelischen
Metaphysik in 102 Quästionen abgehandelt. Uns interessiert in
erster Linie die erkenntnis-theoretische Bedeutung, die der Ver-
fasser dem Gegenstand seines Buches zuspricht.
Da zeigt sich denn sogleich eine gewisse Mischung der wissen-
schaftlichen Motive, die unter dem mächtigen Druck der aristo-
telischen Tradition trotz der erkenntnis-kritischen Einsichten der
okkamistischen Schule die alte Stellung der Metaphysik an der
Spitze der „natürlichen Wissenschaften“ behaupten sollen. Zu-
nächst wird sie mit Aristoteles als sapientia definiert und auf die
„allgemeinsten Prinzipien“ zurückgeführt, aus denen ihre Lehr-
1 Für Heidelberg vgl. U-B. I, 38 (um 1390); 152/3 (1444). Ich zweifle
nicht, daß handschriftlich noch zahlreiche, bisher unbekannte Traktate zur
Metaphysik der „modernen“ Schule existieren müssen.
2 Cod. Pal. Yindobon. 5297, Papier, 186 Bll., fol., 2-sp., vorgeheftetes
Halbblatt: Questiones Marsilii super metaphysicam. Constat 62 grossos. Ladislai
de Czap. Bl. 184v: Expliciunt questiones usw. Marsilii. Scripte et finite sunt
post festum beate Margarethe virginis anno d. 1409. Bl. 184 —186: Register der
Quästionen. Bl. 186: Petrus de spinis.
3 Bl. 1: [Bei] ad honorem et pro felici incremento studii universitatis
heydelbergensis ac etiam ut scolares illius ad facultates ceteras altissimas et (ad)
sacram theologiam divinitus adaptenlur — schreibt der Autor das Lehrbuch.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 1. Abh.
 
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