Studien zur Spätscholastik. I.
127
Damit ist zunächst der „natürliche“ Beweis für das Dasein
Gottes gesichert1. Aber auch über sein Wesen lassen sich eine
Menge verschiedener Aussagen ohne übernatürliche Erleuchtung
aufstellen. Da sind zunächst die „erschlossenen“ Begriffe (conceptus
connotativi), die aus der endlichen Erfahrung durch Opposition oder
durch Kombination gewonnen werden: so z. B. aus dem Begriff
des Abhängigen die absolute Independenz, aus der Bewegung die
Unveränderlichkeit, aus der Vielheit die Einheit, aus den Begriffen
des „Ersten“ und der „Substanz“ die prima substantia2. Gewiß
ist in diesen Schlüssen Irrtum möglich, und auch Aristoteles hat
darin geirrt, indem er z. B. die Ewigkeit den Himmelskörpern zu-
schrieb3; unzweifelhaft betrachtet sie Marsilius nicht als streng
wissenschaftliche Syllogismen; aber einen gewissen Wahrheits-
wert sollen sie doch besitzen. Wohl fehlt den „abhängigen“ Dingen
die Vollkommenheit des göttlichen Wesens; sie sind diesem gegen-
über inkommensurabel; aber immerhin besitzen sie als seine „Wir-
kungen“ eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Ursache, sodaß der
Analogieschluß nicht aller Wahrheit entbehrt4.
Bleiben wir hier in halben Beweisen stecken, so geht unser
Autor andernorts, deutlicher erkennbar, noch über die Gottes-
beweise des Thomas —- den er in diesen Dingen auffallend häufig
zitiert — hinaus. Thomas hatte den Schluß von dem Verursachten
(der Weltbewegung) auf den Urheber nur zum Beweise der Existenz
Gottes, nicht zu der Bestimmung seines Wesens ausnutzen wollen;
denn die quidditas sei entweder nur a priori, d. h. aus ihrer Ursache,
oder intuitiv oder endlich durch species propria zu erkennen. Alle
drei Wege seien hier versperrt5. Das will Marsilius nur insofern
gelten lassen, als in der Tat (wir hörten es schon) ein „wesenhafter
Eigenbegriff“ (conceptus quidditativus essentialis et proprius) Gottes
dem viator nicht möglich ist; auch eine „apriorische“ Erkenntnis
der göttlichen Wesenheit ist undenkbar, da sie nicht aus einer
übergeordneten causa abgeleitet werden kann; erkennen wir Gott
qu. 5, a. 1, Bl. 34, b no. 2: Der Gottesbeweis ist wie alle metaphysische
Erkenntnis nicht mathematisch möglich, aber secundo modo, quod probetur
sufficienter ex principiis seiende iuxta modum ille seiende correspondentem,
et jortius quam suum oppositum possit probari.
1 Metaph. 1. XII, qu. 13, a. 1, co. 5.
2 ibid. co. 3. 3 ibid. co. 6 u. 3.
4 L. II, qu. 3. (Reg. nr. 10), a. 3, ad 5. rationem, Bl. 17.
5 ibid. a. 2, Bl. 16, d.
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Damit ist zunächst der „natürliche“ Beweis für das Dasein
Gottes gesichert1. Aber auch über sein Wesen lassen sich eine
Menge verschiedener Aussagen ohne übernatürliche Erleuchtung
aufstellen. Da sind zunächst die „erschlossenen“ Begriffe (conceptus
connotativi), die aus der endlichen Erfahrung durch Opposition oder
durch Kombination gewonnen werden: so z. B. aus dem Begriff
des Abhängigen die absolute Independenz, aus der Bewegung die
Unveränderlichkeit, aus der Vielheit die Einheit, aus den Begriffen
des „Ersten“ und der „Substanz“ die prima substantia2. Gewiß
ist in diesen Schlüssen Irrtum möglich, und auch Aristoteles hat
darin geirrt, indem er z. B. die Ewigkeit den Himmelskörpern zu-
schrieb3; unzweifelhaft betrachtet sie Marsilius nicht als streng
wissenschaftliche Syllogismen; aber einen gewissen Wahrheits-
wert sollen sie doch besitzen. Wohl fehlt den „abhängigen“ Dingen
die Vollkommenheit des göttlichen Wesens; sie sind diesem gegen-
über inkommensurabel; aber immerhin besitzen sie als seine „Wir-
kungen“ eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Ursache, sodaß der
Analogieschluß nicht aller Wahrheit entbehrt4.
Bleiben wir hier in halben Beweisen stecken, so geht unser
Autor andernorts, deutlicher erkennbar, noch über die Gottes-
beweise des Thomas —- den er in diesen Dingen auffallend häufig
zitiert — hinaus. Thomas hatte den Schluß von dem Verursachten
(der Weltbewegung) auf den Urheber nur zum Beweise der Existenz
Gottes, nicht zu der Bestimmung seines Wesens ausnutzen wollen;
denn die quidditas sei entweder nur a priori, d. h. aus ihrer Ursache,
oder intuitiv oder endlich durch species propria zu erkennen. Alle
drei Wege seien hier versperrt5. Das will Marsilius nur insofern
gelten lassen, als in der Tat (wir hörten es schon) ein „wesenhafter
Eigenbegriff“ (conceptus quidditativus essentialis et proprius) Gottes
dem viator nicht möglich ist; auch eine „apriorische“ Erkenntnis
der göttlichen Wesenheit ist undenkbar, da sie nicht aus einer
übergeordneten causa abgeleitet werden kann; erkennen wir Gott
qu. 5, a. 1, Bl. 34, b no. 2: Der Gottesbeweis ist wie alle metaphysische
Erkenntnis nicht mathematisch möglich, aber secundo modo, quod probetur
sufficienter ex principiis seiende iuxta modum ille seiende correspondentem,
et jortius quam suum oppositum possit probari.
1 Metaph. 1. XII, qu. 13, a. 1, co. 5.
2 ibid. co. 3. 3 ibid. co. 6 u. 3.
4 L. II, qu. 3. (Reg. nr. 10), a. 3, ad 5. rationem, Bl. 17.
5 ibid. a. 2, Bl. 16, d.