Gerhakd Ritter:
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mit allen Mitteln terministischer Logik geführt wird, interessiert
uns hier nur das Ergebnis. Er lehnt ebenso wie etwa Thomas
oder Skotus die Unterscheidung von substancia und accidens im
göttlichen Wesen ab; Gott ist absolut einfach1. Nimmt man aber
den Begriff ,,Substanz“ im Sinne des principaliter existere, nulli
inniti tamquam accidens, so ist Gott eine species der Kategorie der
Substanz. Ohne diese Annahme würde überhaupt keine kategori-
sche Aussage über ihn gemacht werden können2. Und doch fällt
sein Begriff notwendig unter die Kategorien der Substanz, der
Belation und des Handelns3. Daß die kategorischen Prädizie-
rungen seines Wesens keine Beschränkung zu bedeuten brauchen,
haben wir bereits gehört (oben S. 128); außer den genannten sind
aber im strengen Sinne keine weiteren Kategorien auf ihn anwend-
bar; vielmehr handelt es sich bei Aussagen z. B. über Gottes
Größe, Weisheit usw. nicht um quantitative usw. Bezeichnungen,
sondern um eine Art metaphorischer Übertragung von Allgemein-
begriffen der geschöpflichen Welt auf sein Wesen4. Eine Ver-
wischung der absoluten Unvergleichbarkeit zwischen Geschaffenem
und Ungeschaffenem ist darum nicht zu befürchten. Halten sich
diese Ausführungen im ganzen auf der Linie der älteren scholasti-
schen Tradition, so gilt dasselbe in erhöhtem Maße für die meta-
physische Definition der göttlichen Attribute. Die absolute Ein-
heit des göttlichen Wesens erfordert es, allen realen und auch
„formalen“ Unterschied zwischen den verschiedenen Attributen
und Gottes Wesen zu leugnen. Darin waren sich auch Okkam und
Thomas gegenüber der formalistischen Lehre des Duns Skotus
einig gewesen. Aber während die überall auf Vereinfachung der
Begriffe drängende Theologie Okkams die Unterscheidung der
Attribute einfach in das menschliche Denken verlegte, konstruierte
der Aquinate einen höchst komplizierten Zusammenhang, wonach
doch eine gewisse sachliche Begründung (ratio) ihrer Verschieden-
heit im göttlichen Wesen selbst, nicht nur in der Vernunft des
menschlichen Betrachters liegen sollte1. Lind auch an diesem Punkte
kehrt Marsilius zu der älteren Lehre zurück — indem er wiederum
1 1. sent. I, qu. 12, a. 2, co. 3, corr., Bl. 59.
2 ibid. co. 4ff.
3 ibid. co. 5 — 7.
4 ibid. concl. 8. Ganz ähnlich Thomas, lib. I sent., dist. 8, qu. 4, art. 3
(opera ed. 1560, tom. VII, p. 85).
5 Zitate bei Stöckl II 509 Anm.
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mit allen Mitteln terministischer Logik geführt wird, interessiert
uns hier nur das Ergebnis. Er lehnt ebenso wie etwa Thomas
oder Skotus die Unterscheidung von substancia und accidens im
göttlichen Wesen ab; Gott ist absolut einfach1. Nimmt man aber
den Begriff ,,Substanz“ im Sinne des principaliter existere, nulli
inniti tamquam accidens, so ist Gott eine species der Kategorie der
Substanz. Ohne diese Annahme würde überhaupt keine kategori-
sche Aussage über ihn gemacht werden können2. Und doch fällt
sein Begriff notwendig unter die Kategorien der Substanz, der
Belation und des Handelns3. Daß die kategorischen Prädizie-
rungen seines Wesens keine Beschränkung zu bedeuten brauchen,
haben wir bereits gehört (oben S. 128); außer den genannten sind
aber im strengen Sinne keine weiteren Kategorien auf ihn anwend-
bar; vielmehr handelt es sich bei Aussagen z. B. über Gottes
Größe, Weisheit usw. nicht um quantitative usw. Bezeichnungen,
sondern um eine Art metaphorischer Übertragung von Allgemein-
begriffen der geschöpflichen Welt auf sein Wesen4. Eine Ver-
wischung der absoluten Unvergleichbarkeit zwischen Geschaffenem
und Ungeschaffenem ist darum nicht zu befürchten. Halten sich
diese Ausführungen im ganzen auf der Linie der älteren scholasti-
schen Tradition, so gilt dasselbe in erhöhtem Maße für die meta-
physische Definition der göttlichen Attribute. Die absolute Ein-
heit des göttlichen Wesens erfordert es, allen realen und auch
„formalen“ Unterschied zwischen den verschiedenen Attributen
und Gottes Wesen zu leugnen. Darin waren sich auch Okkam und
Thomas gegenüber der formalistischen Lehre des Duns Skotus
einig gewesen. Aber während die überall auf Vereinfachung der
Begriffe drängende Theologie Okkams die Unterscheidung der
Attribute einfach in das menschliche Denken verlegte, konstruierte
der Aquinate einen höchst komplizierten Zusammenhang, wonach
doch eine gewisse sachliche Begründung (ratio) ihrer Verschieden-
heit im göttlichen Wesen selbst, nicht nur in der Vernunft des
menschlichen Betrachters liegen sollte1. Lind auch an diesem Punkte
kehrt Marsilius zu der älteren Lehre zurück — indem er wiederum
1 1. sent. I, qu. 12, a. 2, co. 3, corr., Bl. 59.
2 ibid. co. 4ff.
3 ibid. co. 5 — 7.
4 ibid. concl. 8. Ganz ähnlich Thomas, lib. I sent., dist. 8, qu. 4, art. 3
(opera ed. 1560, tom. VII, p. 85).
5 Zitate bei Stöckl II 509 Anm.