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Gerhard Ritter:
gische Erklärung der Auferstehung Christi1 und ist darum als
unkatholisch zu verwerfen. Im Grunde liegt diese Antwort auf
die berühmte Streitfrage in der Richtung der Prinzipien Okkams
selber, der ja überall auf Vereinfachung der Begriffe drängte und
eine ,,formelle“ Unterscheidung nur da gelten lassen wollte, wo
eine reale zugrunde liege2. Aber wie sich nun einmal die Lehre
Okkams tatsächlich gestaltet hatte, ist die Verwerfung der realen
und formalen Trennung von Geist und Sinnlichkeit durch Mar-
silius nicht als Fortbildung dieser Lehre, sondern eher als Rück-
kehr zu den älteren Traditionen aufzufassen3. Im übrigen ist auch
an diesem Punkte die Übereinstimmung mit Gregor von Rimini
zu konstatieren; ja der Gang der Erörterung legt die Vermutung
nahe, daß dessen Argumentation geradezu als Vorbild gedient hat4.
Und ähnlich steht es mit der metaphysischen Beurteilung der
Seelenvermögen in ihrem Verhältnis zur Seelensubstanz. Überein-
stimmend mit Gregor = Augustin wie mit Okkam und Skotus,
verwirft Marsilius jede reale Unterscheidung zwischen dem Wesen
der Seele und ihren Vermögen5; in diesem Zusammenhang erinnert
die Ausmalung der augustinischen Analogie zwischen der gött-
lichen Trinität und der Dreiheit von Intellekt, Gedächtnis und
Wille besonders lebhaft an Gregor6.
Damit sei der Überblick über die metaphysischen Einzel-
probleme abgeschlossen. Alles in allem hat uns ihr Studium be-
stätigt, was die Betrachtung der erkenntnistheoretischen Grund-
fragen vermuten ließ: Das Ganze dieser Metaphysik ist eine gerad-
1 Metaphys. üb. VII, qu. 14, art. 2, concl. 2. Anima sensitiva in Christo
non fuit distincta a forma rationali ipsius . . . nec in aliis hominibus . . . quod
Christus fuit homo sicut alii homines. Christus der Auferstandene hatte Sinnes-
eindrücke; wäre seine sinnliche Seele von der geistigen geschieden, also sterb-
lich gewesen, so hätte sie nicht den Tod überdauert.
2 Vgl. Prantl III, 360.
3 Gegen Prantl IV, 95, not. 371.
4 In II lib. sent., dist. XVI, qu. 2, art. 1, Bl 76 V Über verwandte
Sätze Buridans vgl. Prantl, IV, 17; vgl. ferner Werner III, 143/4.
5 lib sent. I, qu. 7, art. 3, Bl. 43v ff. Polemik gegen Thomas von
Straßburg und Egidius. Die Identifizierung der „Vermögen“ mit der Seele
selbst sei die übliche Ansicht der Metaphysiker ,,de faculta.te artium“, die
weniger stark durch theologische Motive (Dreiheit der göttlichen Personen
analog der Dreiheit der Vermögen) bestimmt sind.
6 ibid. art. 2, BL 42v. Natürlich hat M. v. I. Mühe, die memoria
trotz seiner „modernen“ Psychologie als gleichwertiges „Vermögen“ neben
den beiden anderen zu rechtfertigen; sie gehört ja eigentlich zur „Sinnlich-
keit“.
Gerhard Ritter:
gische Erklärung der Auferstehung Christi1 und ist darum als
unkatholisch zu verwerfen. Im Grunde liegt diese Antwort auf
die berühmte Streitfrage in der Richtung der Prinzipien Okkams
selber, der ja überall auf Vereinfachung der Begriffe drängte und
eine ,,formelle“ Unterscheidung nur da gelten lassen wollte, wo
eine reale zugrunde liege2. Aber wie sich nun einmal die Lehre
Okkams tatsächlich gestaltet hatte, ist die Verwerfung der realen
und formalen Trennung von Geist und Sinnlichkeit durch Mar-
silius nicht als Fortbildung dieser Lehre, sondern eher als Rück-
kehr zu den älteren Traditionen aufzufassen3. Im übrigen ist auch
an diesem Punkte die Übereinstimmung mit Gregor von Rimini
zu konstatieren; ja der Gang der Erörterung legt die Vermutung
nahe, daß dessen Argumentation geradezu als Vorbild gedient hat4.
Und ähnlich steht es mit der metaphysischen Beurteilung der
Seelenvermögen in ihrem Verhältnis zur Seelensubstanz. Überein-
stimmend mit Gregor = Augustin wie mit Okkam und Skotus,
verwirft Marsilius jede reale Unterscheidung zwischen dem Wesen
der Seele und ihren Vermögen5; in diesem Zusammenhang erinnert
die Ausmalung der augustinischen Analogie zwischen der gött-
lichen Trinität und der Dreiheit von Intellekt, Gedächtnis und
Wille besonders lebhaft an Gregor6.
Damit sei der Überblick über die metaphysischen Einzel-
probleme abgeschlossen. Alles in allem hat uns ihr Studium be-
stätigt, was die Betrachtung der erkenntnistheoretischen Grund-
fragen vermuten ließ: Das Ganze dieser Metaphysik ist eine gerad-
1 Metaphys. üb. VII, qu. 14, art. 2, concl. 2. Anima sensitiva in Christo
non fuit distincta a forma rationali ipsius . . . nec in aliis hominibus . . . quod
Christus fuit homo sicut alii homines. Christus der Auferstandene hatte Sinnes-
eindrücke; wäre seine sinnliche Seele von der geistigen geschieden, also sterb-
lich gewesen, so hätte sie nicht den Tod überdauert.
2 Vgl. Prantl III, 360.
3 Gegen Prantl IV, 95, not. 371.
4 In II lib. sent., dist. XVI, qu. 2, art. 1, Bl 76 V Über verwandte
Sätze Buridans vgl. Prantl, IV, 17; vgl. ferner Werner III, 143/4.
5 lib sent. I, qu. 7, art. 3, Bl. 43v ff. Polemik gegen Thomas von
Straßburg und Egidius. Die Identifizierung der „Vermögen“ mit der Seele
selbst sei die übliche Ansicht der Metaphysiker ,,de faculta.te artium“, die
weniger stark durch theologische Motive (Dreiheit der göttlichen Personen
analog der Dreiheit der Vermögen) bestimmt sind.
6 ibid. art. 2, BL 42v. Natürlich hat M. v. I. Mühe, die memoria
trotz seiner „modernen“ Psychologie als gleichwertiges „Vermögen“ neben
den beiden anderen zu rechtfertigen; sie gehört ja eigentlich zur „Sinnlich-
keit“.