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Studien zur Spätscholastik. I.

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Das dogmengeschichtliche Interesse an der deutschen Theo-
logie des ausgehenden Mittelalters konzentriert sich naturgemäß
in besonderem Maße auf diejenigen Lehren, in deren Bezirk sich
später das Feuer der lutherischen Reformation entzünden sollte:
auf die Gedankenkreise von Gnade, Rechtfertigung, Ver-
söhnung und Prädestination. Seit die extremen Angriffe
katholischer Forscher auf die Lehre und Persönlichkeit des Refor-
mators die evangelische Theologie zur Verteidigung ihres Helden
auf den Plan gerufen haben, ist nicht wenig geschehen, um das
innere Verhältnis Luthers zu diesen Problemen der Scholastik auf-
zuklären. Die neueste zusammenfassende Biographie von Scheel
legt Zeugnis dafür ab. Soviel ich zu übersehen vermag, hat man
dabei außer der Hochscholastik, Duns Skotus und Okkam haupt-
sächlich Gabriel Biel und die Erfurter Modernen ins Auge gefaßt;
über die Theologen unter den Erfurter Augustiner-Eremiten,
Luthers unmittelbare Lehrer, ist so gut wie nichts bekannt, über
Gregor von Rimini, den Luther um seiner Gnadenlehre willen
bekanntlich allein aus der massa perditionis der scholastischen
„Sautheologen“ ausnehmen wollte, bisher recht wenig. In Er-
kenntnis dieser Lücke hat sich neuestens eine lebhafte Kontroverse
entsponnen, veranlaßt durch die sehr temperamentvollen Angriffe
des früheren DominikanersA. V. Müller auf Denifle-Grisar einer-,
Scheel andererseits. Müller sucht nachzuweisen, daß die luthe-
rische Theologie in wesentlichen Grundzügen unmittelbar an die
von der Forschung bisher wenig beachtete Ordenstheologie der
Augustinereremiten angeknüpft habe, die im Gegensatz zu dem
Semipelagianismus der späteren Okkamisten unmittelbar auf eine
Erneuerung Augustins aus gewesen sei1. Das hieße also nichts
Geringeres, als die reformatorische Theologie unmittelbar aus der
Scholastik ableiten, und es ist vorauszusehen, daß von dieser zu-
gespitzten Fassung der These nicht alles wird bestehen können,
um so weniger, als die großen Ordenslehrer der Augustiner, Egidius,
Thomas von Straßburg, Gregor u. a. unter sich gerade an den
entscheidenden Stellen durchaus keine einheitliche Front bilden.
1 A. Y. Müller, Luthers theologische Quellen, Gießen 1912; ders.,
Luthers Werdegang bis zum Turmerlebnis, Gotha 1920. Angekündigt ist:
Luther und der mittelalterliche Augustinismus. — Über die Theologie der
Augustinereremiten s. die von modern-scholastischem Standpunkt geschrie-
bene, übrigens kaum lesbare Darstellung von K. Wern er 1. c. III. — Die Be-
deutung dieser Theologie wird lebhaft betont von Seeberg III3, 621 ff.
 
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