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Gradenwitz, Otto [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 6. Abhandlung): Akten über Bismarcks großdeutsche Rundfahrt vom Jahre 1892 — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37796#0004
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O. Gradenwitz:

linie wird vertieft (Süddeutschland das „Herz“, Norddeutschland
der „Kopf“, sagt in Kissingen der Mannheimer Sprecher der Bade-
ner), und eine neue Zusammenfassung wird laut, und nicht von
Bismarck-enthusiastischer Seite: „was Bayern und Österreich die-
sem Mann von Blut und Eisen verdankt“.
Wie in einer heroischen Symphonie die Motive erst am Ohr
vorbeihuschen, die nachher mit tragischer Wucht sich auswirken,
so deutet hier „imponderabel“ sich an, was wir ein Vierteljahr-
hundert später erleben sollten. Schon läßt der Petit Parisien und der
Gaulois die Partei des Erzherzogs Albrecht an eine Revision von
1866 denken, und Bismarck sagen: Außerhalb Preußens bin ich
Alles und Ihr — die Dynastie — seid nichts.
Capri vis wärmste Verteidiger haben ihm das nicht verziehen,
wie er Bismarck gegenüber trat: aber ein General, der den abzu-
dankenden politischen Führer der Nation im Amte zu ersetzen
sich bereit fand, konnte nicht anders handeln; excessive hereditäre
Treue fördert nicht den Blick für das Recht des Genius: „Dein
Neid“ röchelt der sterbende Siegfried dem Tronjer zu, der mit
Recht, dem König sagt: „ich bin Dein Mann, Dein treuester Mann.“
Wie Hamann berichtet, ist Caprivi davon ausgegangen, der Kaiser
habe von einem unbestreitbaren Recht Gebrauch gemacht, indem
er Bismarck entließ; das ist die Auffassung des Cato von dem
geeigneten Feldherrn im Todeskampf der Republik: „Cato erwog
die Frage, wem die Oberfeldherrnstelle gebühre, als handelte es
sich um ein Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu.“
(Mommsen); es war wohl nicht der Weisheit letzter Schluß für
Caprivi: staatsmännischer war es, wenn er (bei Hamann) betont,
daß Bismarck das Amt nicht wieder übernehmen wolle; aber, daß
er Bismarck entgegentrat, war in keinem Falle Charakterfehler,
sondern der militärische oder quasi juristische Gegenstoß gegen
Bismarcks auch nach der Entamtung rein politische Einstellung.
Caprivi fühlte die Volksstimmung: „Frau Königin, Ihr seid die
Schönste hier, aber Schneewittchen über den Bergen . . . “ — das
durfte nicht sein, und so ging er auch gegen das Persönliche Bis-
marcks vor — mit dem Erfolge, den die beiderseitige Begabung
voraussehen ließ: Durch die simple Anwendung der Vasallität auf
den Fürsten Bismarck setzte man das in Deutschland noch leben-
dige Prinzip ebenso in Gegensatz zu den Empfindungen der Um-
 
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