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O. Gradenwitz:
Wort des sittlichen Tadels für die Übernahme des Kanzleramtes
durch den General* 1, und auch keines für den schiefen Vergleich
,,Mann über Bord“, —■ da es doch „Schiff in Grund“ hätte heißen
müssen. Die Art, wie er politisch mißbilligt, ist die vornehmste
Huldigung für die Armee und die Stellung dieses „hohen preußi-
schen Generals“ in der Armee, der, weil er „mehr als andere das
Vertrauen unseres Offizierkorps hat, ein zu vornehmer Mann“ ist,
„um Kabinettssekretär oder Adjutant auf einem ihm fremden
Gebiete zu werden.“ Der Mann, auf dessen Befehl Tausende in
den Tod gehen, mag auch selbst gehorchen; ein Zivilbeamter,
der nur gehorcht, ist subaltern. Darum ist es keine Herabsetzung
der Generale Roon und Moltke, „daß sie beide als Berufssoldaten
wegen der Unfreiheit ihrer Entschließungen nicht dieselben Ge-
sichtspunkte zu nehmen brauchten wie ein verantwortlicher aus-
wärtiger Minister“ ( G. u. E. 2, 87). — Bismarck vergleicht (S. 127)
die Übernahme des Kanzlerpostens durch Caprivi mit der eigenen
Annahme der Ministerschaft im Jahre 1862, offenbar um den Unter-
schied beider Situationen hervorzuheben. Er sagt auch: „In ge-
wissen Beziehungen sucht man vergebens nach Analogien zwischen
Wilhelm II. und seinen drei nächsten Ascendenten“. Caprivi hat
wohl keine Memoiren hinterlassen; aber wenn Kaiser Wilhelm II.
ihm im Februar oder März 1890 gesagt haben sollte, Er wolle lieber
abdanken, als Bismarcks Kanzlerdiktatur ertragen, so wäre eine
Analogie der Situationen von 1862 und 1890 und eine Ähnlichkeit
beider Monarchen zu verzeichnen: ist doch die Tätigkeit Caprivis,
der den jungen Kaiser gegen den „Exkanzler“ deckte, wie dieser
für den König gegen den Landtag gefochten, eine Art von Analogie
des Konfliktes von 1862 — 1866, — oder wenn man will eine Kari-
war“ und Kaiser Wilhelm, wenn er Caprivi einen „felsenfesten Charakter“
nennt. Allerdings liegt, worauf ich von militärischer Seite aufmerksam ge-
macht werde, der Grund des Abschiedsgesuches im Dienst-Schematismus, nicht
in politischem Dissens; Caprivi hätte sich beschwert, wenn ein anderer Vor-
gesetzter ihn so umgangen hätte. — Vgl. Lucius S. 520 (9. 3. 90): auch „Caprivi
gilt als ein gerader, loyaler General von festem unbeugsamen Charakter“.
1 Am 29. März 1890 verließ Bismarck Berlin zur Erleichterung seiner
Gegner drei Tage vor seinem Geburtstag — so wie Manlius an einem Orte
gerichtet wurde, von dem man das Kapitol nicht sah. — Die Minister standen
auf dem Bahnsteig, gegenüber dem Salonwagen, in Linie, v. Caprivi auf dem
linken Flügel vor Bismarcks Fenster (v. Bötticher mit einem Blumenstrauß
in Händen, den er wohl nicht hatte anbringen können). Ehe der Zug sich in
Bewegung setzte, ergriff Bismarck Caprivis Hand und hielt sie in langem
Drucke fest. Dies habe ich ganz aus der Nähe beobachtet. —
O. Gradenwitz:
Wort des sittlichen Tadels für die Übernahme des Kanzleramtes
durch den General* 1, und auch keines für den schiefen Vergleich
,,Mann über Bord“, —■ da es doch „Schiff in Grund“ hätte heißen
müssen. Die Art, wie er politisch mißbilligt, ist die vornehmste
Huldigung für die Armee und die Stellung dieses „hohen preußi-
schen Generals“ in der Armee, der, weil er „mehr als andere das
Vertrauen unseres Offizierkorps hat, ein zu vornehmer Mann“ ist,
„um Kabinettssekretär oder Adjutant auf einem ihm fremden
Gebiete zu werden.“ Der Mann, auf dessen Befehl Tausende in
den Tod gehen, mag auch selbst gehorchen; ein Zivilbeamter,
der nur gehorcht, ist subaltern. Darum ist es keine Herabsetzung
der Generale Roon und Moltke, „daß sie beide als Berufssoldaten
wegen der Unfreiheit ihrer Entschließungen nicht dieselben Ge-
sichtspunkte zu nehmen brauchten wie ein verantwortlicher aus-
wärtiger Minister“ ( G. u. E. 2, 87). — Bismarck vergleicht (S. 127)
die Übernahme des Kanzlerpostens durch Caprivi mit der eigenen
Annahme der Ministerschaft im Jahre 1862, offenbar um den Unter-
schied beider Situationen hervorzuheben. Er sagt auch: „In ge-
wissen Beziehungen sucht man vergebens nach Analogien zwischen
Wilhelm II. und seinen drei nächsten Ascendenten“. Caprivi hat
wohl keine Memoiren hinterlassen; aber wenn Kaiser Wilhelm II.
ihm im Februar oder März 1890 gesagt haben sollte, Er wolle lieber
abdanken, als Bismarcks Kanzlerdiktatur ertragen, so wäre eine
Analogie der Situationen von 1862 und 1890 und eine Ähnlichkeit
beider Monarchen zu verzeichnen: ist doch die Tätigkeit Caprivis,
der den jungen Kaiser gegen den „Exkanzler“ deckte, wie dieser
für den König gegen den Landtag gefochten, eine Art von Analogie
des Konfliktes von 1862 — 1866, — oder wenn man will eine Kari-
war“ und Kaiser Wilhelm, wenn er Caprivi einen „felsenfesten Charakter“
nennt. Allerdings liegt, worauf ich von militärischer Seite aufmerksam ge-
macht werde, der Grund des Abschiedsgesuches im Dienst-Schematismus, nicht
in politischem Dissens; Caprivi hätte sich beschwert, wenn ein anderer Vor-
gesetzter ihn so umgangen hätte. — Vgl. Lucius S. 520 (9. 3. 90): auch „Caprivi
gilt als ein gerader, loyaler General von festem unbeugsamen Charakter“.
1 Am 29. März 1890 verließ Bismarck Berlin zur Erleichterung seiner
Gegner drei Tage vor seinem Geburtstag — so wie Manlius an einem Orte
gerichtet wurde, von dem man das Kapitol nicht sah. — Die Minister standen
auf dem Bahnsteig, gegenüber dem Salonwagen, in Linie, v. Caprivi auf dem
linken Flügel vor Bismarcks Fenster (v. Bötticher mit einem Blumenstrauß
in Händen, den er wohl nicht hatte anbringen können). Ehe der Zug sich in
Bewegung setzte, ergriff Bismarck Caprivis Hand und hielt sie in langem
Drucke fest. Dies habe ich ganz aus der Nähe beobachtet. —