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Karl Meister:
von Sklavenschlauheit und demimondäner Verführungskunst nicht
mit Vögeln, sondern mit geschorenen Schafen verglichen werden.
Auch inlicere, das ja wohl wirklich mit laqueus zusammenhängt,
zeugt für die Alltäglichkeit dieses Bildes: Es bezieht sich bei
Plautus stets auf galante Abenteuer1. Daß nun unser Naevius-
fragment in demselben übertragenen Sinne zu verstehen ist, wird
durch den Ausdruck bipedes volucres über jeden Zweifel erhoben.
Niemals werden im Lateinischen die eigentlichen Vögel mit dem
Beiwort bipedes bedacht, das ja in diesem Falle nur eine be-
fremdliche Selbstverständlichkeit enthalten könnte, dagegen ist es
als Bezeichnung der Menschen im Gegensatz zu den Tieren
(quadrupeäes) bekannt (Cic. dom. 48). Vermutlich hat Naevius
Ausdrücke wie διττούς λέαινα (Aeschyl. Ag. 1258), διττούς οφις
(Aeschyl. Suppl. 895), bipedem bliteam (d. i. inutilem) beluam (Labe-
rius 92 R.) oder das Rätsel der Sphinx gekannt und bei seinen
Zuschauern vorausgesetzt und danach den weniger treffenden,
aber in diesem Zusammenhang deutlichen Ausdruck bipedes volu-
cres gebildet. Auch für das 'Sterben'2 * der zweibeinigen Vögel
bietet die Sprache der damaligen Erotik Belege: Der Erfahrene
wußte, daß man durch die Tür des liederlichen Hauses wie durch
eine ianua Orci (Ba. 368) zum perire, zum emori gelangt (Ba. 468,
1204, Truc. 298), wenn auch nicht zum physischen Tod, so doch
zum moralischen und finanziellen. Die cdios saltus hilft der Inhalt
der Tragödie Lycurgus verstehen, aus dem diese Verse herausge-
brochen sind. Er war dem der Bakchen des Euripides verwandt
(Preller-Robert, Griech. Myth. I4, 687): Der thrakische König
Lycurgus verfolgt den Dionysos und sein Gefolge und wird dafür
auf schreckliche Weise bestraft. Vermutlich gehören die Verse
des Naevius zu der Rede, mit der Lycurg den orgiastischen Kult
der Anhängerinnen des neuen Gottes und ihr Schwärmen im Ge-
1 Ba. 1151 intro inlicere Jmc; vgl. Truc. 298; illecebra Truc. 184 von der
meretrix, inlex Pers. 408 vom Kuppler. Anders, aber in derselben Sphäre liegend,
As. 215 ff., Aul. 737, Mil. 1435, Poe. 745.
2 Derselbe Ausdruck bei Ennius A. 149 postquam lumina sis octilis bonus Ancus
reliquit, wo Wendungen wie λείψειν ψάος ήελίοιο Σ 11 (neben όρα φοίος ήελίοιο Σ
61 u. ö.) vorgeschwebt haben und oculis m. E. korrespondierenden Wendungen
wie όφθαλμοΐσιν ίδεθαι entnommen ist. Eine ähnliche Konträrbildung bringt
Ennius Sc. 219 (aves) faveni faucibus russis (etwa nach cantant f. r.). Festus
p. 301 M. erklärte sis oculis für einen Dativ (so auch Norden, Ennius und Vergil
46, 2).
Karl Meister:
von Sklavenschlauheit und demimondäner Verführungskunst nicht
mit Vögeln, sondern mit geschorenen Schafen verglichen werden.
Auch inlicere, das ja wohl wirklich mit laqueus zusammenhängt,
zeugt für die Alltäglichkeit dieses Bildes: Es bezieht sich bei
Plautus stets auf galante Abenteuer1. Daß nun unser Naevius-
fragment in demselben übertragenen Sinne zu verstehen ist, wird
durch den Ausdruck bipedes volucres über jeden Zweifel erhoben.
Niemals werden im Lateinischen die eigentlichen Vögel mit dem
Beiwort bipedes bedacht, das ja in diesem Falle nur eine be-
fremdliche Selbstverständlichkeit enthalten könnte, dagegen ist es
als Bezeichnung der Menschen im Gegensatz zu den Tieren
(quadrupeäes) bekannt (Cic. dom. 48). Vermutlich hat Naevius
Ausdrücke wie διττούς λέαινα (Aeschyl. Ag. 1258), διττούς οφις
(Aeschyl. Suppl. 895), bipedem bliteam (d. i. inutilem) beluam (Labe-
rius 92 R.) oder das Rätsel der Sphinx gekannt und bei seinen
Zuschauern vorausgesetzt und danach den weniger treffenden,
aber in diesem Zusammenhang deutlichen Ausdruck bipedes volu-
cres gebildet. Auch für das 'Sterben'2 * der zweibeinigen Vögel
bietet die Sprache der damaligen Erotik Belege: Der Erfahrene
wußte, daß man durch die Tür des liederlichen Hauses wie durch
eine ianua Orci (Ba. 368) zum perire, zum emori gelangt (Ba. 468,
1204, Truc. 298), wenn auch nicht zum physischen Tod, so doch
zum moralischen und finanziellen. Die cdios saltus hilft der Inhalt
der Tragödie Lycurgus verstehen, aus dem diese Verse herausge-
brochen sind. Er war dem der Bakchen des Euripides verwandt
(Preller-Robert, Griech. Myth. I4, 687): Der thrakische König
Lycurgus verfolgt den Dionysos und sein Gefolge und wird dafür
auf schreckliche Weise bestraft. Vermutlich gehören die Verse
des Naevius zu der Rede, mit der Lycurg den orgiastischen Kult
der Anhängerinnen des neuen Gottes und ihr Schwärmen im Ge-
1 Ba. 1151 intro inlicere Jmc; vgl. Truc. 298; illecebra Truc. 184 von der
meretrix, inlex Pers. 408 vom Kuppler. Anders, aber in derselben Sphäre liegend,
As. 215 ff., Aul. 737, Mil. 1435, Poe. 745.
2 Derselbe Ausdruck bei Ennius A. 149 postquam lumina sis octilis bonus Ancus
reliquit, wo Wendungen wie λείψειν ψάος ήελίοιο Σ 11 (neben όρα φοίος ήελίοιο Σ
61 u. ö.) vorgeschwebt haben und oculis m. E. korrespondierenden Wendungen
wie όφθαλμοΐσιν ίδεθαι entnommen ist. Eine ähnliche Konträrbildung bringt
Ennius Sc. 219 (aves) faveni faucibus russis (etwa nach cantant f. r.). Festus
p. 301 M. erklärte sis oculis für einen Dativ (so auch Norden, Ennius und Vergil
46, 2).