Metadaten

Meister, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1924/25, 3. Abhandlung): Die Hausschwelle in Sprache und Religion der Römer — Heidelberg, 1925

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38945#0028
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
28

Karl Meister:

Gebete die Aufzählung der Götter eröffnen, dessen Monat am An-
fang des Amtsjahres der Konsuln steht, dessen Doppelantlitz dem
ersten Stück der altrömischen Münzreihe aufgeprägt ist, dessen
Gottheit mit dem Anfang alles individuellen Lebens verbunden
ist, dessen Kult der vornehmste der altrömischen Priester, der
Rex sacrorum, wahrnimmt.
Diese Beachtung des Eingangs und Anfangs ist ein für die
Religion der alten Römer besonders bezeichnender Zug; er unter-
scheidet sie von Griechen und Germanen, Israeliten, Indern und
wahrscheinlich vielen anderen Völkern1, die weder Götter haben,
die man mit jenen Gottheiten des Eingangs vergleichen könnte,
noch so reich an Erzählungen sind, die von Vorzeichen und deren
Erfüllung2 oder von Sühnemaßnahmen der Menschen berichten.
Die letzte Ursache dieser Religiosität liegt in der nicht weiter er-
klärbaren Eigenart des altrömischen Volkscharakters3. Sie hat
sich auch der lateinischen Sprache tief eingeprägt. Wie die Wörter
des Eingangs und Anfangs, so spielen auch die der Vorzeichen
im eigentlichen und übertragenen Sinn, weil sie affektbetont
sind, eine große Rolle: Was hier an Urnen und ουδός gezeigt
worden ist, könnte durch auspicium angurium4 omen und den
Vergleich mit den entsprechenden Wörtern anderer Sprachen (z. B.
οίώνισμα und κληδών) erläutert und erweitert werden. Es ist wahr-
scheinlich, daß in Glauben und Sprache der vorliterarischen Zeit
diese vom Anfang auf das Ende vorausschauende religiöse Be-
dächtigkeit noch stärker hervorgetreten ist als in der Periode unserer
Sprachdenkmäler, in der griechischer Geist das alte Rom mehr
und mehr überwunden hat. Unser sublimen kann als Uberlebsel
jener älteren Zeit und ihres Glaubens betrachtet werden.
1 Van Gennep, Les Rites du passage (Paris 1909) bringt nicht viel Ver-
gleichbares. — Für die andern italischen Völker, deren Religiosität in vieler Hin-
sicht der römischen ähnlich ist, versagt in unserem Fall die Überlieferung, auch
die der iguvinischen Tafeln. Woher die 'Pythagoreorum symbola quaedam et
praecepta5 (bei Mullach, Frag. Phil. Gr. I, p. 150) stammen, in denen die Regel
gegeben wird 'pedem ad limen offendenti redeundum’, ist leider unbekannt (Zeller,
Philos. der Griechen III 2 115).
2 Z. B. hat Valerius Maximus seinen sieben römischen Beispielen beachteter
oder mißachteter Auspizien nur z\vei fremdländische, kein passendes griechisches
gegenüberstellen können.
3 Den rechten Weg, ihn zu erfassen, zeigt R. Heinze, Von den Ursachen der
Größe Roms (Leipziger Rektoratsrede 1921).
4 Flinck, Auguralia und Verwandtes. Annales Acad. Scient. Fennicae XI B
(Helsinki 1921).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften