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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 1. Abhandlung): Rechtssprachgeographie — Heidelberg, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.38921#0012
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4

Frh. v. Künssberg:

noch mannigfaltiger, noch verwickelter sein als die politische, denn
zur Ausbildung sprachlicher Einheiten, zum sprachlichen Aus-
gleich innerhalb eines Gebietes ist immer eine gewisse Zeit erforder-
lich, und so entspricht das mundartliche Kartenbild oft einem
Zustand politischer Herrschaftsverhältnisse, der längst vorbei ist,
der schon jahrhundertelang der Geschichte angehört. Und wenn
den territorialen Verschmelzungen auch regelmäßig ein gewisser
sprachlicher Ausgleich folgt, so bleiben doch Spuren des früheren
Zustandes gerade in der Sprache noch sehr lange zurück.
Die gemeinsame sprachliche Erinnerung überdauert nicht-
selten die ehemalige rechtliche Zusammengehörigkeit. Das gilt auch
für die großen Sprachgrenzen. Die deutschitalienische Sprach-
grenze fällt zusammen mit der römischen Reichsgrenze, wie sie im
6. Jahrhundert von Narses festgelegt worden war3. Die deutsch-
französische Sprachgrenze in der Schweiz entspricht vielfach der
Grenze des burgundischen Königreiches gegenüber dem deutschen
Reich. Der römische Limes bildet heute noch strichweise eine
Dialektgrenze; doch ist für einen Teil dieser Limesgrenze fest-
gestellt, daß er auch eine spätere hessische Territorialgrenze war,
sodaß die dortige Dialektgrenze nicht ohne weiteres auf den
Limes zurückgeführt werden darf4. In Südtirol sind die Mundart-
grenzen vielfach identisch mit den alten Stammesgrenzen. Für
die schwäbisch-fränkische Grenze im Württembergischen läßt sich
das Zusammenfallen mit der alten Stammesgrenze wahrscheinlich
machen5; doch dieses Zusammenfallen erklärt sich vor allem dar-
aus, daß hier auch jüngere Verkehrsgrenzen bestanden haben. Die
Wirkung einer Grenze läßt natürlich nach, wenn sie aufgehoben
wird6. Alte Stammes- und Gaugrenzen sind also nicht ohne weiteres
zu vermuten,wenn man sich irgendwo Mundartgrenzen erklären will7.
3 L. M. Hartmann, Die nationale Grenze vom soziologischen Stand-
punkt (Erinnerungsgabe für Max Weber I [1925]).
4 Bei-iaghel, Geschichte d. d. Spr.4, 61 ff.
5 Bohnenberger, Über Sprachgrenzen und deren Ursachen, insbesondere
in Württemberg (Württ. Vierteljahrshefte2 6 [1897]), 161 ff.
6 F. Wrede, Ethnologie und Dialektwissenschaft (Hist. Ztschr. 88 [1902])
37 weist darauf hin, daß der Lech, der seit etwa 100 Jahren keine Staats-
grenze mehr bildet, auch als Dialektgrenze abnimmt; es gibt dort statt der
einst scharfen Scheide heute nur eine unsichere, breite Grenzzone.
7 Frings, Studien zur Dialektgeographie des Niederrheins zwischen
Düsseldorf und Aachen, 1913 (Deutsche Dialektgeographie 5), S. 310. -
Lobbes, Nordbergische Dialektgeographie, 1915 (D. Dial. G. 8), S. 79. -
 
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