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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0011
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Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.

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ethischer Art, wobei man besonders wieder an die Judengemeinden
denken darf1. Und die wachsende philosophische Allgemeinbildung,
vorwiegend stoisch-platonischen Gepräges, vermehrte mit ihrem
religiösen und ethischen Grundzug das Gefühl, daß es eine geistige
Welt gebe, in der man sich frei bewegen dürfe, und daß das Zwangs-
recht des Staates die so gebildete Gesinnung nicht ergreife.
Aus diesen Gründen erklärt sich ausreichend, daß der christ-
liche, östliche Fremdkult sich im ganzen unbehelligt nicht nur aus-
breiten, sondern ein eigenes Recht ausbilden konnte. Das konnte
es auch bei andern Kulten. Überall, wo Ordnung ist, entsteht
Recht; in jeder Gesellschaft, also auch in jeder Religionsgesell-
schaft, die sich ausbreitet und doch ihre Glieder Zusammenhalten
will, muß eine Scheidung eintreten in solche, die kraft Auftrags
ein Recht auf Leitung, Verwaltung und Disziplin haben und in
solche, die dieses Rechtes ermangeln; die Christen, die an Aus-
breitung und Zusammenhalt alle übertrafen, mußten also erst recht
zu einem dem angemessenen Vereins- oder Verbandskirchenrecht
kommen. Aber was nun tatsächlich geschah, ging weit darüber
hinaus und erklärt sich nur aus der Besonderheit dieser Religions-
erscheinung. Es sind, soweit ich sehe, drei Punkte, die alle drei
den jüdischen Mutterboden verraten, aber ihn weit hinter sich
lassen. Einmal, das Christentum war im höchsten Maße sittliche
Religion, nicht nur wieder ein Verein zur Pflege bestimmter Kultus-
handlungen, auch nicht zur Übung einzelner sittlicher Vorschriften,
sondern Lebensgemeinschaft, die ein neues Ethos schuf und die
ganze Gesinnung und Gesittung ergriff und wandelte, die mit
anderen Maßstäben das Verhältnis zum Nächsten und zur Welt
maß, sowohl in der Behandlung der Person wie in der Beurteilung
der Sachwerte, die damit überall an die Rechtsempfindung wie an
den rechtlichen Tatbestand heranreichte, ihn beeinflussen wollte
und nun weil unbefriedigt oder zurückgestoßen zu eigener Lösung
drängte. Schon Paulus zeigt das, als er in die unheilige Welt der
griechischen Städtekultur trat. Christus hatte noch auf das An-
sinnen: „Meister, sage meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir
teile“, geantwortet: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder
Erbschichter über Euch gesetzt?“ Jetzt schärft Paulus den Korin-
thern ein, sich nicht von Unheiligen in Privatprozessen richten zu
lassen, sondern eigene Richter aus den Brüdern zu wählen: „Ist
1 Vgl. etwa jetzt K. Müller, Kirchengesch. I2, 8ff. (1924): Religionen
und Religiosität innerhalb des röm. Reichs.
 
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