Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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Verhältnisse vorwärtsgetragen von einem Staat, der noch weit mehr
als der römische vor Constantin in dauernder Umbildung und Aus-
weitung begriffen war! Und so natürlich ehrfurchtsvoll war der
Germane diesem alten unentbehrlichen Kulturinstrument gegen-
über, an dem der Zauber Roms hing, daß er nicht nur den ganzen
Organismus stehen und weiterfunktionieren ließ, sondern auch
vieles tat, seine Bedeutung noch zu steigern: er vervielfachte das
Wergeid für seine Priester, er mehrte seinen Besitz ins Ungeheure
und damit seine Rechtstitel und steigerte durch Privilegien noch
seinen Wert, er verlieh massenhaft die Immunität, d. h. die alte
Steuerfreiheit als Freiheit von der Grafengewalt und öffnete damit
den Weg zu eigener Steuererhebung und eigener Gerichtsbarkeit1.
Dennoch, blickt man tiefer, so entdeckt 'man auch andere
Seiten. Abgesehen davon, daß man sich den Zustand des kirch-
lichen Rechts keineswegs idealisieren und etwa jetzt schon mit der
Geschlossenheit der justinianischen Rechtssammlung, die in Gallien
noch nicht eindrang2, vergleichen darf — abgesehen auch davon,
daß die von der arianischen Ketzerherrschaft befreite Kirche auch
diesem neuen Constantin dankbar gesinnt und also willig war:
auch dieser germanische Staat und sein Recht hatten eine starke
Stellung. Wollte man paradox sein, so könnte man sagen: gerade
weil man roher war und weil man die reiche Kirche noch reicher
gemacht hatte. Das letztere ließ keinen Zweifel darüber auf-
kommen, daß die Freundin niemals zur Herrscherin werden durfte,
das erstere aber, die rohe ungebrochene Naturkraft, gab die Mög-
lichkeit dazu, denn sie gab das, was Recht schließlich erst als Recht
vollendet: die Macht, die zwingen kann. Während Rom, auch das
kirchliche Rom in die Ohnmacht fiel, während das Papsttum ein-
gekeilt war zwischen Langobarden und Byzantinern, schlugen
Chlodwig und seine gewaltigen Söhne eine Welt zusammen; wäh-
rend sich später das Papsttum als Besitzer des Kirchenstaates
in italienische Händel und lokale Adelskämpfe verlor, schufen
Ottonen und Salier das deutsche Reich. Dort war die Idee, hier
war das Leben.
Der Gesichtspunkt reicht weiter: wie das Recht nicht ohne
Macht, so kann auch die Macht, wenn sie Leben hat, nicht ohne
Recht, nicht ohne Leben im Rechtsgefühl der von ihr umfaßten
1 H. v. Schubert, Frühmittelalter, S. 150ff.
2 M. Conrat, Gesch. d. Quellen u. Liter, d. r. R. im früheren Mittel-
alter, S. 33 (1891); II. v. Schubert, 1. c. S. 529f.
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Verhältnisse vorwärtsgetragen von einem Staat, der noch weit mehr
als der römische vor Constantin in dauernder Umbildung und Aus-
weitung begriffen war! Und so natürlich ehrfurchtsvoll war der
Germane diesem alten unentbehrlichen Kulturinstrument gegen-
über, an dem der Zauber Roms hing, daß er nicht nur den ganzen
Organismus stehen und weiterfunktionieren ließ, sondern auch
vieles tat, seine Bedeutung noch zu steigern: er vervielfachte das
Wergeid für seine Priester, er mehrte seinen Besitz ins Ungeheure
und damit seine Rechtstitel und steigerte durch Privilegien noch
seinen Wert, er verlieh massenhaft die Immunität, d. h. die alte
Steuerfreiheit als Freiheit von der Grafengewalt und öffnete damit
den Weg zu eigener Steuererhebung und eigener Gerichtsbarkeit1.
Dennoch, blickt man tiefer, so entdeckt 'man auch andere
Seiten. Abgesehen davon, daß man sich den Zustand des kirch-
lichen Rechts keineswegs idealisieren und etwa jetzt schon mit der
Geschlossenheit der justinianischen Rechtssammlung, die in Gallien
noch nicht eindrang2, vergleichen darf — abgesehen auch davon,
daß die von der arianischen Ketzerherrschaft befreite Kirche auch
diesem neuen Constantin dankbar gesinnt und also willig war:
auch dieser germanische Staat und sein Recht hatten eine starke
Stellung. Wollte man paradox sein, so könnte man sagen: gerade
weil man roher war und weil man die reiche Kirche noch reicher
gemacht hatte. Das letztere ließ keinen Zweifel darüber auf-
kommen, daß die Freundin niemals zur Herrscherin werden durfte,
das erstere aber, die rohe ungebrochene Naturkraft, gab die Mög-
lichkeit dazu, denn sie gab das, was Recht schließlich erst als Recht
vollendet: die Macht, die zwingen kann. Während Rom, auch das
kirchliche Rom in die Ohnmacht fiel, während das Papsttum ein-
gekeilt war zwischen Langobarden und Byzantinern, schlugen
Chlodwig und seine gewaltigen Söhne eine Welt zusammen; wäh-
rend sich später das Papsttum als Besitzer des Kirchenstaates
in italienische Händel und lokale Adelskämpfe verlor, schufen
Ottonen und Salier das deutsche Reich. Dort war die Idee, hier
war das Leben.
Der Gesichtspunkt reicht weiter: wie das Recht nicht ohne
Macht, so kann auch die Macht, wenn sie Leben hat, nicht ohne
Recht, nicht ohne Leben im Rechtsgefühl der von ihr umfaßten
1 H. v. Schubert, Frühmittelalter, S. 150ff.
2 M. Conrat, Gesch. d. Quellen u. Liter, d. r. R. im früheren Mittel-
alter, S. 33 (1891); II. v. Schubert, 1. c. S. 529f.