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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0033
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Politische Prozesse.

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beruhenden Strafverfahren1. Überall aber sehen wir nur Verzwei-
gungen des einen Hauptmotivs; Die karolingische, auf eine Beamten-
gerichtsbarkeit über Freie zugeschnittene Rechtspflegeorganisation
entspricht nicht mehr der veränderten sozialen Struktur der Gesell-
schaft, in der die Hörigen schon rein zahlenmäßig das Übergewicht
erlangt haben. Und so muß eine Loslösung der Kriminaljustiz von
jenen karolingischen Grundlagen erfolgen, eine Neubasierung auf
die ältere Schicht volksrechtlicher Institutionen, die durch jene ver-
deckt, aber nicht zerstört worden waren2. Dort lebten noch die
Leibes- und Lebensstrafen, dort die alte Volksjustiz — man denke
an den Gografen des Sachsenspiegels3! —- dort der Gedanke einer
Freie und Unfreie umspannenden Friedensbewahrung. Und so
sehen wir in all dem ein bewußtes Hinübergreifen des Königtums
über jene feudalisierte, versteinerte Adelsgesellschaft, deren Staats-
gesinnung geschwunden war, die im Bunde mit dem Papsttum dem
Königtum opponierte, zur Unterschicht der in die Hörigkeit ab-
gesunkenen Volkskreise, aus denen noch neue Kraft zu holen war
— eine Politik, wie sie gelegentlich auch das französische Königtum,
freilich mit besserem Erfolge, geübt hat4.
Es liegt also durchaus im Zuge einer großen Entwicklungs-
linie, wenn auch in den Fürstenprozessen Heinrichs IV. das Volks-
recht eine ganz andere Rolle zu spielen berufen ist als unter seinen
Vorgängern. Es kam darauf an, eine möglichst breite, von der
Volksstimmung getragene Grundlage für diese Urteile und ihre
vor aller Augen sich vollziehende Vollstreckung zu finden.
1. Ein sehr gutes Beispiel bildet gleich der Prozeß Ottos von
Northeim. Seine politische Bedeutung braucht kaum eingehender
dargetan zu werden: Es war der erste Schlag des jungen salischen
Herrschers gegen Sachsen, die erste Etappe auf dem Wege zu einer
umfassenden Festsetzungs- und Domanialpolitik. Auch seiner poli-
tischen Nebenwirkungen, insbesondere der auf ihm beruhenden
Weifenherrschaft in Bayern kann nur kurz gedacht werden. Die
juristischen Vorgänge sind relativ klar erfaßbar: Die Erhebung

1 Hirsch 21 ff., 49ff., 107, 233ff.
2 Hirsch S. 212ff., 228.
3 Dazu jetzt Fischer-Puntschart, Reichsfürstenstand II, 3, S. 325ff.
(noch ohne Auseinandersetzung mit Hirsch).
4 Die sozialpolitische Seite der Frage erscheint mir in größerem Zu-
sammenhang nachprüfungsbedürftig. Vgl. die Bemerkungen von His, a. a. O.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad.. philos.-hist. Kl. 1926 2?. 3. Abh.

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