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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0090
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Heinrich Mitteis:

Cartellieri1. Aber nunmehr hat vor kurzem Petit-Dutaili is2
zu dem großen Schlage ausgeholt, der die Theorie des Doppel-
urteils endgültig vernichten sollte.
Man sieht also, daß die Unsicherheit hier, in dem französischen
Parallelfall, noch viel größer ist als im Prozeß Heinrichs des Löwen,
da sie einen Kardinalpunkt betrifft und der Herd des Zweifels nicht
gleichsam lokalisiert werden kann. Unsere Aufgabe muß zunächst
sein, uns über den Tatbestand des lehnrechtlichen Verfahrens
genau zu informieren, ehe wir uns der Frage des Strafurteils zu-
wenden. Wir werden uns dabei vor Augen zu halten haben, daß
insbesondere die englischen Chronisten ihre Angaben gelegentlich
absichtlich unpräzis halten, um das Maß der Schuld ihres Königs
als möglichst gering erscheinen zu lassen3 *.
1. Der Prozeß beginnt an einem nicht näher feststellbaren Zeit-
punkt des Jahres 12014 mit der Ladungsbitte5 angevinischer und
poitevinischer Grafen, die sich auf die ihnen von Johann zugefügte
Unbill im allgemeinen, insbesondere aber auf die Entführung Isa-
bellas von Angouleme, der Braut Hugos von Lusignan, gründet6.
Hierauf läßt Philipp August Johann mehrfach vor sein Lehns-
gericht laden7, aber vergeblich8. Im Zuge dieser Ladungen erwei-
1 Philipp II. August, insbes. IV, 1 (1921), S. 182ff.
2 Charles Petit-Dutaillis, Le desheritement de Jean sans Terre et
le meurtre d’Arthur de Bretagne. Etüde critique sur la formation et la fortune
d’une.legende. Revue historique 147 (1924) und 148 (1925). Ich zitiere nach
der Buchausgabe, Paris 1925.
3 Bezeichnend ist, daß Roger von Hoveden (ed Stubbs IV, p 119) und
die Chronik von Coggeshall (ed. Stevenson, p 103) den französischen König-
geradezu als agent provocateur hinstellen, der Johann zu der Eutführung Isa-
bellas von Angouleme verleitet habe, die dann die Prozeß Veranlassung bilden
sollte. 4 Cartellieri, a a. O., IV, S. 72®.
5 Da die Klage nur mündlich erhoben werden kann, darf man den ein-
leitenden Prozeßakt in Abwesenheit des Beklagten nur Ladungsbitte nennen.
Vgl. meine Studien S. 154 mit Quellenzitaten.
6 Isabella wurde am 24. August 1200 mit Johann getraut; sie war den
Lusignans bereits tradiert gewesen, ihr eigner Vate>- hatte sie entführt, Car-
tellieri, a. a. O., IV, S. 150ff. Die Lusignans waren als poitevinische Grafen
Vasallen Johanns, aber die hartnäckige Weigerung Johanns, ihnen Genug-
tuung zu geben, berechtigte sie nach den lehnrechtlichen Grundsätzen des
deni de justice (Chenon, a. a. O. p. 684) zur Verfolgung ihrer Ansprüche vor dem
Oberlehnsherrn Johanns. Vgl. Bemont a. a. O. p. 34, 46, mit Zitaten.
7 Chronik von Coggeshall ed. Stubbs, p. 135: At rex Philippus multo-
ciens mandavit regi Angliae quatenus ab earum expugnatione quiesceret et cum
hominibus suis aliquam pacis concordiam componeret. 8 Johann übte also
 
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