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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0094
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94

Heinrich Mitteis:

von Record- und recordlosen Gerichten1 — vor allem charak-
teristisch die scharfe Trennung eines possesorischen von einem
petitorischen Stadium des Verfahrens. Es ist klar, daß hierin der
vorläufige Charakter der ersten Einziehung durch die königliche
Gewalt, ihre Richtung auf den indirekten Zwang ihren Ausdruck
findet, ähnlich wie schon in den italienischen Urkunden des 10. Jahr-
hunderts2 und in den frühesten Traktaten des englischen Rechts3.
Es ist dasselbe, was wir im deutschen Recht als „Ausziehfrist“
bezeichnet haben, wo freilich der Unterschied zwischen Gewere und
materiellem Recht noch nicht so scharf hervortritt4. Charakteristisch
ist ferner die immer wiederkehrende Zweiwochenfrist für die Ladung,
die wir auch in der Chronik von Coggeshall gefunden hatten5. End-
lich ist darauf hinzuweisen, daß eine „Normung“ der Ausziehfrist
noch nicht stattgefunden hat, woraus zu schließen ist, daß der
König erst recht frei gewesen sein muß in der Bemessung des Zeit-
raums, nach dem er das Lehen wieder ausgab. Erst spätere Quellen
haben die Frist von Jahr und Tag festgelegt, ganz analog unserm
Sachsenspiegel6.
3. Auf diese lehnrechtliche Verurteilung Johanns und nicht
etwa auf eine spätere achtrechtliche sind daher auch die übrigen
offiziellen Dokumente zu beziehen, insbesondere die beiden Papst-
briefe von 1203 und 1205. Zunächst schreibt Innozenz III. am

1 S. Brunner, Das Gerichtszeugnis und die fränk. Königsurkunde (Festg.
I. Heffter), 1873, S. 149ff.
2 S. oben S. 23 A. 5.
3 Glanvilla I, c. 7, § 2 (Philipps II, S. 339): Et si infra illos quindecim
dies non venerit, adversario ejus adjudicabitur s e is in a, ita quod de cetero non
audietur, nisi super proprietate per breve domini Regis de recto.
4 S. oben S.45.
5 S. oben S. 90 A. 7.
6 Vgl. Beaumanoir ed. Saumon Nr. 64, Livres de Jo stice et de Plet
III , 5, § 5; XX, 17, ed. Rapetti p. 110, 332. — Daß die normannische Praxis
mit dem Coutumier konform ist, beweisen Urteile des Echiquier von 1234,
vgl. Leciiaude d’Anisy, Magni Rotuli Scaccarii Normanniae (Mem. de la
Societe des Antiquaires de la Norm. XY, p. 138, 147). Sehr ähnlich dem nor-
mannischen ist das Recht des Kreuzfahrerstaates Jerusalem (schlecht sog.
Assisen von J.), vgl. Assises de la Haute Cour c. 30, ed. Beugnot p. 54. Wegen
der genauen Datierung ist jetzt zu vergleichen Maurice Grandclaude, Etüde
critique sur les Assises de Jerusalem, Paris 1923, p. 66ss. Indessen ist zu
beachten, daß diese orientalischen Quellen erst im 17. Jhd. in Frankreich
bekannt wurden, Chenon a. a. O. 582.
 
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