Politische Prozesse.
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tanien, Anjou, Maine. Wegen der Normandie enthält der Lehns-
vertrag mit Arthur1 eine sehr eigenartige Vorbehaltsklausel:
De Normannia sic erit, quod ipse dominus noster rex Franciae
hoc quod aquisivit et de eo quod Deus ipse dabit aquirere ad opus suum
retinebit quantum sibi placuerit, et hominibus suis, qui pro
ipso terras suas amiserunt, dabit id quod sibi placuerit de terra Nor-
mcinnie.
Also völlig freies Verfügungsrecht über die Normandie vor-
behaltlich eines diskretionären Entschädigungsanspruchs — diese
soll künftig Krondomäne sein, sie bildet das Kampfziel der ganzen
königlichen Politik. Und kein Rechtssatz scheint den französi-
schen König gehindert zu haben, dieses Kampfziel zu erreichen.
Aber andererseits scheint doch keine völlige Freiheit in dieser Be-
ziehung geherrscht zu haben. Aus der Tatsache, daß Arthur mit
einem großen Teile der heimgefallenen Lehen nach Ablauf der —
wie oben gezeigt, variablen —■ Ausziehfrist belehnt wird, läßt doch
darauf schließen, daß ein gewisser Leihezwang zugun-
sten naher Anverwandter doch anerkannt wird.
Leider lassen uns hier die Quellen völlig im Stich, und es wird
sich nicht mit völliger Sicherheit entscheiden lassen, ob Philipp
aus politischer Klugheit handelte, um die Kraftprobe den Lehns-
fürsten gegenüber nicht zu überspannen2, oder ob er einen aner-
kannten Gewohnheitsrechtssatz befolgte. Aber wenn ein solcher
bestand, so ergriff er nicht alle Lehen als solche, kraft ihrer
dinglichen Rechtsnatur, sondern er enthielt nur einen persön-
lichen Anspruch des Erben auf eine Ausstattung aus dem heim-
gefallenen Lehnskomplex. War kein Erbe vorhanden — eine
Situation, die alsbald, nach Arthurs Ermordung 1203, schon ein-
trat —, dann bestand kein Hindernis für die totale Appropriation
zugunsten der Krone. Wir werden auf dieses Phänomen des per-
sönlich beschränkten Leihezwangs noch im Schlußwort zurück-
kommen.
1 Teulet, Layettes du tresor des chartes I (1863), p. 236, Nr. 647. Vgl.
Powicke, Löss of Normandy, p. 478. Daß Arthur 1199 auch für die Nor-
mandie homagium geleistet haben soll, wie Lot a. a. O. p. 223 im Anschluß
an eine Stelle bei Roger von Hoveden behauptet, halte ich nicht für erwiesen.
Rigord, der Belehnung und Ritterschlag Arthurs auf 1202 verlegt, ist hier
sicher besser unterrichtet. S. auch Cartellieri IV, 1, S. 118.
2 So Lot, fideles on vassaux, p. 90, 222.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1926/27. 3. Abh.
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tanien, Anjou, Maine. Wegen der Normandie enthält der Lehns-
vertrag mit Arthur1 eine sehr eigenartige Vorbehaltsklausel:
De Normannia sic erit, quod ipse dominus noster rex Franciae
hoc quod aquisivit et de eo quod Deus ipse dabit aquirere ad opus suum
retinebit quantum sibi placuerit, et hominibus suis, qui pro
ipso terras suas amiserunt, dabit id quod sibi placuerit de terra Nor-
mcinnie.
Also völlig freies Verfügungsrecht über die Normandie vor-
behaltlich eines diskretionären Entschädigungsanspruchs — diese
soll künftig Krondomäne sein, sie bildet das Kampfziel der ganzen
königlichen Politik. Und kein Rechtssatz scheint den französi-
schen König gehindert zu haben, dieses Kampfziel zu erreichen.
Aber andererseits scheint doch keine völlige Freiheit in dieser Be-
ziehung geherrscht zu haben. Aus der Tatsache, daß Arthur mit
einem großen Teile der heimgefallenen Lehen nach Ablauf der —
wie oben gezeigt, variablen —■ Ausziehfrist belehnt wird, läßt doch
darauf schließen, daß ein gewisser Leihezwang zugun-
sten naher Anverwandter doch anerkannt wird.
Leider lassen uns hier die Quellen völlig im Stich, und es wird
sich nicht mit völliger Sicherheit entscheiden lassen, ob Philipp
aus politischer Klugheit handelte, um die Kraftprobe den Lehns-
fürsten gegenüber nicht zu überspannen2, oder ob er einen aner-
kannten Gewohnheitsrechtssatz befolgte. Aber wenn ein solcher
bestand, so ergriff er nicht alle Lehen als solche, kraft ihrer
dinglichen Rechtsnatur, sondern er enthielt nur einen persön-
lichen Anspruch des Erben auf eine Ausstattung aus dem heim-
gefallenen Lehnskomplex. War kein Erbe vorhanden — eine
Situation, die alsbald, nach Arthurs Ermordung 1203, schon ein-
trat —, dann bestand kein Hindernis für die totale Appropriation
zugunsten der Krone. Wir werden auf dieses Phänomen des per-
sönlich beschränkten Leihezwangs noch im Schlußwort zurück-
kommen.
1 Teulet, Layettes du tresor des chartes I (1863), p. 236, Nr. 647. Vgl.
Powicke, Löss of Normandy, p. 478. Daß Arthur 1199 auch für die Nor-
mandie homagium geleistet haben soll, wie Lot a. a. O. p. 223 im Anschluß
an eine Stelle bei Roger von Hoveden behauptet, halte ich nicht für erwiesen.
Rigord, der Belehnung und Ritterschlag Arthurs auf 1202 verlegt, ist hier
sicher besser unterrichtet. S. auch Cartellieri IV, 1, S. 118.
2 So Lot, fideles on vassaux, p. 90, 222.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1926/27. 3. Abh.