Jungfrauensohn und Krippenkind.
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diese kosmische Begleiterscheinung findet sich auch in indischer
Überlieferung von der Geburt des Bodhisattva1. Darauf „ward das
Kind sichtbar und es kam (...) und nahm die Brust von seiner
Mutter Maria“ (19, 2) — auch die wunderbare Selbständigkeit des
Neugeborenen gehört zu den synkretistischen Motiven2. Es tritt
ein weiteres Motiv dieser Art hinzu: die Hebamme findet nichts
mehr zu tun und kann nur Zeugin all des Wunderbaren sein3.
Schließlich wird unter erneuten Wundern von einer Frau namens
Salome festgestellt, daß Maria auch nach der Geburt noch Jung-
frau geblieben ist (Ps.-Jakobus 17—20).
Nicht mit so großem Aufwand, aber unter dem Einfluß der-
selben Tendenz wird in der sog. Ascensio Jesaiae 11 die Geburt
Jesu erzählt. Die jungfräuliche Schwangerschaft und die Beleh-
rung des Josef durch den Engel werden nach Matthäus berichtet;
die Geburt aber geht vor sich, indem Maria, im Hause Josefs als
sein Weib verweilend, plötzlich ein kleines Kind sieht. Und als
ihre Bestürzung gewichen ist, wird ihr Leib befunden wie zuvor.
Man spürt in dieser Darstellung deutlich die Tendenz, den eigent-
lichen Geburtsvorgang ganz zu verflüchtigen, um damit der über-
natürlichen Art des göttlichen Kindes gerecht zu werden. Diese
Tendenz hat dann schließlich in gnostischen Kreisen zur völligen
Leugnung der Geburt durch eine irdische Mutter geführt4.
Als ein Zeugnis, das die Wunderhaftigkeit der Erzeugung auch
auf den Geburtsvorgang ausdehnt, muß weiter die poetische Dar-
1 Nach dem Bericht des Lalitavistara vgl. Garbe, Indien und das
Christentum 75ff. Vielleicht liegt aber in beiden Fällen Beeinflussung durch
einen Märchenstoff vor.
2 Der erste unter den Heilungsberichten aus Epidauros (s. oben S. 35ff.)
erzählt, daß eine von fünfjähriger Schwangerschaft beschwerte Frau beim
Austritt aus dem Heiligtum einen Knaben gebiert, der sich sofort selber an
der Quelle wäscht und mit der Mutter herumläuft. Freilich soll in diesem
Fall auch die Länge der Schwangerschaft zum Ausdruck gebracht werden.
3 Es ist, wie mich Arnold von Salis belehrt, auf den Darstellungen
von Athenas Geburt oft zu bemerken, daß die Eileithyien, zum Hebammen-
dienst an das Göttervaters Haupt berufen, zu spät kommen und nun nichts
anderes tun können als mit aufgehobenen Händen die bereits aus Zeus hervor-
gegangene Athena zu bestaunen, vgl. Thiersch, Ein parthenonisches Giebel-
problem (Heidelberger Sitzungsberichte 1913, Heft 4) S. 24.
4 Über die Ketzer Simon und Kleobios weiß der lateinisch erhaltene
apokryphe Brief der Korinther an Paulus zu berichten: sie lehren: sed neque
in carne uenisse Christum, sed neque ex Maria natum (Harnack in Lietz-
manns Kleinen Texten 12, S. 10). Vgl. weitere Zeugnisse bei Walter Bauer,
Leben Jesu 34ff.
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diese kosmische Begleiterscheinung findet sich auch in indischer
Überlieferung von der Geburt des Bodhisattva1. Darauf „ward das
Kind sichtbar und es kam (...) und nahm die Brust von seiner
Mutter Maria“ (19, 2) — auch die wunderbare Selbständigkeit des
Neugeborenen gehört zu den synkretistischen Motiven2. Es tritt
ein weiteres Motiv dieser Art hinzu: die Hebamme findet nichts
mehr zu tun und kann nur Zeugin all des Wunderbaren sein3.
Schließlich wird unter erneuten Wundern von einer Frau namens
Salome festgestellt, daß Maria auch nach der Geburt noch Jung-
frau geblieben ist (Ps.-Jakobus 17—20).
Nicht mit so großem Aufwand, aber unter dem Einfluß der-
selben Tendenz wird in der sog. Ascensio Jesaiae 11 die Geburt
Jesu erzählt. Die jungfräuliche Schwangerschaft und die Beleh-
rung des Josef durch den Engel werden nach Matthäus berichtet;
die Geburt aber geht vor sich, indem Maria, im Hause Josefs als
sein Weib verweilend, plötzlich ein kleines Kind sieht. Und als
ihre Bestürzung gewichen ist, wird ihr Leib befunden wie zuvor.
Man spürt in dieser Darstellung deutlich die Tendenz, den eigent-
lichen Geburtsvorgang ganz zu verflüchtigen, um damit der über-
natürlichen Art des göttlichen Kindes gerecht zu werden. Diese
Tendenz hat dann schließlich in gnostischen Kreisen zur völligen
Leugnung der Geburt durch eine irdische Mutter geführt4.
Als ein Zeugnis, das die Wunderhaftigkeit der Erzeugung auch
auf den Geburtsvorgang ausdehnt, muß weiter die poetische Dar-
1 Nach dem Bericht des Lalitavistara vgl. Garbe, Indien und das
Christentum 75ff. Vielleicht liegt aber in beiden Fällen Beeinflussung durch
einen Märchenstoff vor.
2 Der erste unter den Heilungsberichten aus Epidauros (s. oben S. 35ff.)
erzählt, daß eine von fünfjähriger Schwangerschaft beschwerte Frau beim
Austritt aus dem Heiligtum einen Knaben gebiert, der sich sofort selber an
der Quelle wäscht und mit der Mutter herumläuft. Freilich soll in diesem
Fall auch die Länge der Schwangerschaft zum Ausdruck gebracht werden.
3 Es ist, wie mich Arnold von Salis belehrt, auf den Darstellungen
von Athenas Geburt oft zu bemerken, daß die Eileithyien, zum Hebammen-
dienst an das Göttervaters Haupt berufen, zu spät kommen und nun nichts
anderes tun können als mit aufgehobenen Händen die bereits aus Zeus hervor-
gegangene Athena zu bestaunen, vgl. Thiersch, Ein parthenonisches Giebel-
problem (Heidelberger Sitzungsberichte 1913, Heft 4) S. 24.
4 Über die Ketzer Simon und Kleobios weiß der lateinisch erhaltene
apokryphe Brief der Korinther an Paulus zu berichten: sie lehren: sed neque
in carne uenisse Christum, sed neque ex Maria natum (Harnack in Lietz-
manns Kleinen Texten 12, S. 10). Vgl. weitere Zeugnisse bei Walter Bauer,
Leben Jesu 34ff.
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