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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0053
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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Aber natürlich stehen die Gnostiker nicht zurück. Die Pistis
Sophia berichtet, daß Christus mit Maria in Gestalt des Gabriel
gesprochen und in sie gewisse Kräfte hineingestoßen habe (S. 8
Schmidt). Hier ist aber die kosmische Christologie der Gnosis so
stark beteiligt, daß der Zusammenhang mit der Tradition dadurch
beeinträchtigt wird1. Wichtiger für unsere Betrachtung ist darum
die poetische Schilderung des christlichen Sibyllinen-Dichters, der
Oracula Sibyll. VIII 456 ff. beweist, wie man die legendäre und die
mythische Erstellung nebeneinander gesetzt hat, um sowohl der
überlieferten Legende wie dem Inkarnationsmythus gerecht zu
werden. Gabriel zeigt sich und redet zur Jungfrau Maria: δέξακ
άχράντοισι Εεον σοΐς, παρθένε, κόλποις. Das ist eine Umsetzung
der Engelsbotschaft in den Stil des fiktiv heidnischen Gedichts,
und doch mehr: die Ankündigung eines alsbald geschehenden Vor-
gangs. Wenn es dann heißt, daß er2 ihr bei diesen Worten Gnade
einhauchte, so bedeutet das noch nicht die Zeugung selbst. Diese
wird erst, nach einer Schilderung von Marias jungfräulicher Ver-
wirrung und bräutlicher Freude, mit den Worten beschrieben:
έπος δ’είσέπτατο νηδύν,
σαρκωθέν δε χρόνω καί γαστέρι ζωογονηθέν
έπλάσθη βροτέην ίδέην καί κούρος έτύχθη
παρ-θενικοΐς τοκετοΐς'
(Orac. Sibyll. VIII 469—472).
Mit έπος ist hier sicher der Logos gemeint, der der Jungfrau in
den Leib fliegt; denn VIII 479 heißt Bethlehem Heimat des Logos.
Es ist nach dieser die verschiedenen Tendenzen verbindenden
Schilderung nicht erstaunlich, wenn auch andere Variationen be-
gegnen: wenn z. B. in dem sog. Pseudo-Matthaeus (Tischendorf,
Evangelia apocrypha 51 ff.) die Darstellung des Ps. Jacobus un-
gefähr wieder erscheint, aber vermehrt um das „mythische“ Motiv
1 Nach Kap. 8 S. 8 und Kap. 62 S. 80 blickt Christus in Gabriels
Gestalt vom Himmel her auf Maria und spricht mit ihr. Zuerst stößt
er (S. 8) in Maria hinein „die erste Kraft, welche ich von der Barbelo
genommen hatte, d. h. den Körper, welchen ich in der Höhe getragen
habe11. Dann wird die Kraft, „weiche ich von dem großen Sabaoth . . .
genommen habe,“ an Stelle der Seele in Maria hineingestoßen. Hier gibt
der Mythus nur den Rahmen her für gnostische Spekulation.
2 εμπνευσε θεός ■— in dem fiktiv-heidnischen Stil ist θεός wohl Be-
zeichnung des Engels Gabriel.
 
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