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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0063
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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mäßigen geschieden; damit ist, auch das falsche Verständnis des
Krippenmotivs abgewiesen: es will nicht Verwahrlosung anzeigen,
sondern Begnadigung; das Neugeborene soll nicht ein Findel-
kind sein, sondern ein wunderbares Kind1. Der antignostische
Kampf hat dann das Motiv vom „gewickelten“ Kind gegen die
Doketen ausgenutzt; in diesem Sinn erscheint es im äthiopischen
Text der Epistula apostolorum 3, und zwar in dem schon formel-
haft ausgebildeten Kerygma: „in Bethlehem eingewickelt und offen-
bart“. Aber es liegt kein Grund vor, Wendungen der Weihnachts-
geschichte nach Zeugnissen des antignostischen Kampfes zu ver-
stehen, wenn sie anders erklärt werden können.
Im Mittelpunkt der Hirtenszene, die den Haupt-Inhalt der
Erzählung bildet, steht die Engelsbotschaft. Sie hat vier The-
men: die große Freude über Israel, die Geburt des Heilandes, das
Zeichen, der Lobgesang des neuen Beiches.
„Siehe ich künde euch große Freude“ — es braucht nicht
betont zu werden, in welch naher Beziehung die Worte dieser Bot-
schaft zu den Formeln stehen, mit denen die göttliche Offenbarung
in der Regierung eines hellenistischen oder römischen Herrschers
begrüßt und gefeiert wird2. Auch die „große Freude“ gehört zu
den Zeichen der Heilszeit3. Aber die Parallelen dürfen nicht zu
einer falschen Interpretation verführen. Die Freude, von der hier
die Rede ist, ist die messianische Freude. Sie ist mehr, als die Freude
der „vielen“ über die Geburt Johannes des Täufers Lk. 1, 14. Aber
sie erscheint doch nicht als kosmische Freude, sondern als Freude
1 Damit hoffe ich die These von Gressmann (Das Weihnachtsevange-
lium, S. 18) widerlegt zu haben, nach der das Kind der Weihnachtsgeschichte
selbst ursprünglich ein Findelkind ist. Gressmann gelangt dazu auf Grund
von zwei Schlußfolgerungen: 1. der (Engel nennt die Eltern nicht, also hat
das Kind ursprünglich keine Eltern gehabt; 2. Hirten und Krippe gehören
zusammen; also sind die Hirten die ersten Pfleger des elternlosen Kindes.
- Aber die erste Folgerung ist nicht zwingend und wird durch das Wort
έσπαργανωμ,ένον entscheidend widerlegt; die zweite geht von einer richtigen
Beobachtung aus, verschiebt aber den Sinn der Legende, indem sie aus den
Kündern der Botschaft die Pfleger des Kindes macht.
2 Die wichtigsten Stellen sind bei Klostermann2 zu Lk. 2, 10. 11. 14
notiert. Vgl. auch Wendland, Hellenist.-römische Kultur2 408ff.; Soltau,
Berliner Phil. Wochenschr. 1915, 356ff; und besonders Schniewind, Euan-
gelion S. 85—94.
3 Orac. Sibyll. lli 7851'. (nach Sach. 2, 10) VIII 4741'. (in Verbindung mit
der Geburt Christi), P. Giss. 3 (Regierungsantritt Hadrians), Vergil Ecloga
4, 52. Vgl. auch Norden, Geburt des Kindes 57f; Schniewind, Euangelion
5. 90.
 
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