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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0079
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

noch ehe die Christen in der Lage waren, von der Höhle selbst
Besitz zu ergreifen. Die Hirtenlegende ist jedenfalls unabhängig
von dieser Tradition1 *.

Die Analyse von Lk. 1, 5 bis 2, 20 hat als Urbestand der Tra-
dition drei voneinander unabhängige Legenden ergeben: die Geburt
des Täufers, die Engelsbotschaft an die Jungfrau Maria, die Ver-
kündung an die Hirten. Unser historisches Wissen um die Vor-
gänge wird durch sie wenig bereichert, denn der einzige welt-
geschichtliche Passus, von dem Zensus des Quirinius, gehört nicht
in die alte Erzählung, und von den übrigen „geschichtlichen“ An-
gaben dieser Legenden, den Personen- und Ortsnamen etwa, gilt,
was schon zur Johanneslegende bemerkt wurde: wir können sie
nicht leugnen, aber auch nicht nachprüfen, und sie sind keinesfalls
die Hauptsache.
Zu dieser Hauptsache galt es vorzudringen. Das, was den
Erzählern dieser Einzelgeschichten das wesentliche war, darf man
sich nicht verdunkeln lassen durch Übergänge und Verbindungs-
glieder, die erst der Evangelist geschaffen hat. Man darf sich aber
auch nicht die Sicht verstellen lassen durch die Fülle der Parallelen,
wie sie aus allen möglichen Überlieferungen gesammelt werden
können: Sagen von Göttergeburten, Göttervermählungen, heiligen
Jungfrauen, himmlischen Boten, frommen Hirten, geweihten Höhlen.
Die formgeschichtliche Kritik, die Auslösung der Einzelgeschichte
und die Untersuchung ihrer Art, hat in jedem Fall voranzustehen
und das Verständnis zu eröffnen. Dazu tritt dann die religions-
geschichtliche Entzifferung der einzelnen Motive, bei der zunächst
nicht deren Herkunft, sondern die Bedeutung der Einzelzüge im
Ganzen mit Hilfe von Analogien festgestellt wird. Erst dann stellt
sich die letzte Aufgabe: das Verständnis der Stoffgeschichte, die
Frage nach der Herkunft des Stoffes oder der Leitgedanken.
1 Die Höhle unterhalb der Geburtskirche ist heute derartig ausgemauert,
daß der ursprünglich vorhandene Felsenraum nicht mehr zu erkennen ist, vgl.
Dalman, Orte und Wege Jesu3, S. 40. Daß aber eine relativ alte Lokaltradition
vorhanden ist, beweisen die oben S. 77 wiedergegebenen Worte des Origenes.
- Die σπηλαία des Mithras-Kults, die Justin Dialogus 70, 1. 78, 1 mit der
angeblichen Geburtsstätte Jesu vergleicht, haben keine erkennbare sachliche
Verwandtschaft mit ihr; sie gelten, soviel wir wissen, nicht als Geburtsort des
Mithras; wohl aber ist daran zu erinnern, daß die Tötung des Stieres nach
den Denkmälern in einer Höhle stattfindet.
 
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