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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1932/33, 1. Abhandlung): Labyrinth: eine sprachwissenschaftliche Untersuchung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40163#0009
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1. Der Name des sagenhaften Labyrinths in Kreta, das man
dem Daidalos zuschrieb und in dem Königspalast des Minos bei
Knossos wiedererkennen will, wird allgemein als «Haus der Doppel-
axt» erklärt, weil man Λαβύρινθος mit dem kleinasiatischen, lydischen
Wort λάβρυς «Doppelaxt» und dem karischen Ζεύς Λάβραυνδος von
Mylasa zusammenstellt.1 Man denkt sich das Labyrinth als Heilig-
tum eines Gottes mit der Doppelaxt, wie er für Kleinasien gut be-
zeugt ist, und führt als Beweis an, daß man die Doppelaxt als
religiöses Symbol bei den Ausgrabungen in Knossos allerorten wieder-
gefunden habe.2 Nach Plutarch (quaest. gr. 45) wurde jener Ζεύς
Λάβραυνδος mit der Doppelaxt dargestellt (το άγαλμα πέλεκυν ήρμένον),
und sein Kultbild auf zwei Reliefs und Münzen der römischen
Kaiserzeit zeigt einen bärtigen Gott mit einer langstieligen Doppel-
axt in der Rechten.
2. Und doch, so einleuchtend sich das zunächst anhören mag,
und obwohl Λαβύρινθος und λάβρυς, Λάβραυνδος rein lautlich sich
nahe stehen, diese Deutung des Wortes Labyrinth kann nicht richtig
sein.3 Denn dieser Labraunclos ist nichts als eine örtliche Sonder-
form des «karischen» Zeus, des Dolichenos, des TmQ>Typus, und
sein Name in Wirklichkeit nur Lokalbenennung nach der Örtlich-
keit seines Kultes. Mehr wie das: der Name hängt sogar nur mit
der Bezeichnung einer Phvle zusammen. Nach Strabon gab es in
Mylasa drei Tempel, die dem Osogoci, dem Zeus Labraunclos und
dem Zeus Kariös geheiligt waren. Da wir nun aus einer Inschrift
(GIG 2691cff.) wissen, daß im Senat von Mylasa ursprünglich drei
Tribus vertreten waren, von denen jede ihren besonderen Gott ver-
ehrte (z. B. die Tribus der Otorlcondier den Osogoa), so war der
Labraunclos Schutzheiliger und Sondergott einer dieser Tribus, also
1 Plutarch Quaest. Gr. 45: Auool λάβρυν τον πέλεκυν ονομάζουσιν.
2 Kretschmer Einl. in d. Gesch. d. gr. Spr. 404; Humborg PW RE2 XII, 1,
1924, 314ff.
3 Bedenken bei Ed. Meyer Gesch. d. Altert. I, 3715; Bethe Rhein. Mus. 65,
227 und schon Rouse Journ. hell stud. 21, 1901, 268ff.

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