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Nikolaus [Hrsg.]; Kallen, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1935/36, 3. Abhandlung): De auctoritate presidendi in concilio generali — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.41986#0090
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Gerhard Kallen:

aber im Grunde juristischen Waffen. Aber noch eine dritte Gruppe
meldet sich, wenn auch noch nicht in der ersten Linie, an, das
sind die Humanisten. Die klassische Erneuerung kämpfte näm-
lich mit gegen die christliche Überlieferung und gegen die alte
Zeit. Daß ein Mann wie Enea Silvio Papst werden konnte, zeigt
den veränderten Charakter der Lage.
Nikolaus von Cu es hat mit der auch in seinen politischen
Schriften vertretenen Weltanschauung die wirkliche geschichtliche
Entwicklung damals nicht stärker beeinflußt. Das liegt daran, daß
sein Ideal und seine Ideologie nicht der neuen Zeit entsprach.
Immer kämpfte er und wollte er kämpfen für die Einheit in
der Vielheit. In Wirklichkeit aber verteidigte er — ohne es zu
wollen — zuerst eine Versammlung von vielen, die zur Einheit
nicht gelangten, und später ein Papsttum, dessen Absolutismus
hinwiederum der Einheit in der Vielheit entgegengesetzt war.
Er hat zwar in kühner Selbständigkeit die Denkform des Mittel-
alters gesprengt, die Vernunft nicht rein formalistisch ver-
schwendet-, sondern als erster seit Platon in ihr „wieder etwas
Ursprüngliches und Tätiges“ entdeckt (W. Andreas). Aber sein
Versuch — nach Dante die letzte geniale geistige Gesamterfas-
sung des Mittelalters — der mittelalterlichen Ordnung aus neuem
Geiste heraus eine neue Möglichkeit der Herrschaft zu geben, eilte
seiner Zeit voraus. Das Zeitalter des Individualismus sollte
zunächst für Jahrhunderte die Welt reicher an Geist und Macht,
freilich auch ärmer an Glauben und an Seele machen.
Der Traktat De presidentia steht in seiner Selbständigkeit
einsam in der gleichförmigen Reihe der übrigen Gutachten:
Deutsche metaphysisch-weltanschauliche Vertiefung neben roma-
nischem rationalistisch-intellektualistischem Formalismus. Er gab
uns Veranlassung, in das Werden des geistigen Wandels jener Zeit
hineinzuleuchten. Im Mittelpunkt steht die Kanonistik, die Erbin
der Theologie. Bibel und Väter helfen beim Ausbau ihres Begriffs-
systems. Sie selbst hat dann anders als die Theologie, welche die
gläubige Seele unter die Herrlichkeit Gottes beugte, die Macht
Gottes und die seines Stellvertreters auf einem Rechtssystem auf-
gebaut, das Ihr nach der höchstgespannten Forderung alle mensch-
liche Kreatur unterwarf beim Heil ihrer Seele1. Darüber hinaus

1 Bonifaz VIII. in der Bulle „Unam Sanctam“ (Extravag. comra.
lib. I, 8).
 
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