Die Verteidigung Eckharts durch Cusanus.
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von ewig? einen Widerspruch einschließt. Denn sie setzt die An-
schauung voraus, das Zeitliche und Entsprungene könne zeit- und
ursprungslos sein1.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese weit ausge-
sponnenen Erörterungen der Rechtfertigung Eckharts dienen und
darlegen sollen, daß dieser weit davon entfernt war, die Ewigkeit
der Welt zu behaupten. Er gab nur die richtigen, wenngleich viel-
leicht gerade den Fragestellern nicht ohne weiteres verständlichen
Antworten auf Fragen, die von vornherein unberechtigt, weil wider-
spruchsvoll waren. Diese Apologie Eckharts war aber nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt. Schließlich lesen wir nämlich die Wen-
dung: diese Fragen sind beiseitezulassen, denn sie erbauen nicht2.
Diese, nicht etwa an andere, sondern an sich selbst gerichtete Mah-
nung ist für Cusanus ganz bezeichnend: die Predigtvorbereitung
führt ihn hier — wie sonst — zu philosophischen Erörterungen,
von denen er selbst einsieht, daß sie nicht auf die Kanzel
gehören.
In der Predigt ,,Hoc facite in meam commemorationem“ (V2
157ra —158va), die er am Sonntag (30. Mai) innerhalb der Oktav
von Fronleichnam 1456 in Brixen hielt, kommt er auf die im
zehnten Satz der Bulle verurteilte Lehre Eckharts von der
Verwandlung in Christus zu sprechen. Er lautet3: „Wir werden
ganz in Gott umgeformt und verwandelt. Gleich wie im Altars-
sakrament das Brot in den Leib Christi verwandelt wird, so werde
ich in ihn verwandelt, so daß er mich als sein eines Sein wirkt,
nicht als ein ähnliches Sein. Beim lebendigen Gott, es ist wahr,
daß da kein Unterschied ist.“
1 Übrigens scheint Cusanus sich bei dieser Verteidigung Eckharts auch
mit dem neuestens gefundenen und von Pelster (vgl. S. 51 Anm. 2) heraus-
gegebenen Gutachten einer Avignoner Theologenkommission auseinander-
zusetzen; vgl. unten S. llOf. und die Anmerkungen. Aber, so wird man
fragen, woher soll er dieses Gutachten gekannt haben ? Meine Vermutung
geht dahin, daß es sich auch bei den Aktenstücken aus dem Eckhartprozeß
befand, die er durch Ioh. Guldenschaf in Mainz kennen lernte (vgl. oben
S. 37.).
2 Vgl. unten S. 112, 11.
3 Vgl. Archiv 638: ,,Nos transformamur totaliter in deum et conver-
timur in eum; simili modo sicut in sacramento panis convertitur in corpus
Christi: sic ego convertor in eum, quod ipse me operatur suum esse unum,
non simile; per viventem deum verum est, quod ibi nulla est distinctio.“
Den deutschen Wortlaut siehe in: Meister Eckhart, Die deutschen Werke,
hrsg. von Jos. Quint, I Pr. 6 (= Pfeiffer LXV), S. 110, 8—111, 2. 6—7.
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von ewig? einen Widerspruch einschließt. Denn sie setzt die An-
schauung voraus, das Zeitliche und Entsprungene könne zeit- und
ursprungslos sein1.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese weit ausge-
sponnenen Erörterungen der Rechtfertigung Eckharts dienen und
darlegen sollen, daß dieser weit davon entfernt war, die Ewigkeit
der Welt zu behaupten. Er gab nur die richtigen, wenngleich viel-
leicht gerade den Fragestellern nicht ohne weiteres verständlichen
Antworten auf Fragen, die von vornherein unberechtigt, weil wider-
spruchsvoll waren. Diese Apologie Eckharts war aber nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt. Schließlich lesen wir nämlich die Wen-
dung: diese Fragen sind beiseitezulassen, denn sie erbauen nicht2.
Diese, nicht etwa an andere, sondern an sich selbst gerichtete Mah-
nung ist für Cusanus ganz bezeichnend: die Predigtvorbereitung
führt ihn hier — wie sonst — zu philosophischen Erörterungen,
von denen er selbst einsieht, daß sie nicht auf die Kanzel
gehören.
In der Predigt ,,Hoc facite in meam commemorationem“ (V2
157ra —158va), die er am Sonntag (30. Mai) innerhalb der Oktav
von Fronleichnam 1456 in Brixen hielt, kommt er auf die im
zehnten Satz der Bulle verurteilte Lehre Eckharts von der
Verwandlung in Christus zu sprechen. Er lautet3: „Wir werden
ganz in Gott umgeformt und verwandelt. Gleich wie im Altars-
sakrament das Brot in den Leib Christi verwandelt wird, so werde
ich in ihn verwandelt, so daß er mich als sein eines Sein wirkt,
nicht als ein ähnliches Sein. Beim lebendigen Gott, es ist wahr,
daß da kein Unterschied ist.“
1 Übrigens scheint Cusanus sich bei dieser Verteidigung Eckharts auch
mit dem neuestens gefundenen und von Pelster (vgl. S. 51 Anm. 2) heraus-
gegebenen Gutachten einer Avignoner Theologenkommission auseinander-
zusetzen; vgl. unten S. llOf. und die Anmerkungen. Aber, so wird man
fragen, woher soll er dieses Gutachten gekannt haben ? Meine Vermutung
geht dahin, daß es sich auch bei den Aktenstücken aus dem Eckhartprozeß
befand, die er durch Ioh. Guldenschaf in Mainz kennen lernte (vgl. oben
S. 37.).
2 Vgl. unten S. 112, 11.
3 Vgl. Archiv 638: ,,Nos transformamur totaliter in deum et conver-
timur in eum; simili modo sicut in sacramento panis convertitur in corpus
Christi: sic ego convertor in eum, quod ipse me operatur suum esse unum,
non simile; per viventem deum verum est, quod ibi nulla est distinctio.“
Den deutschen Wortlaut siehe in: Meister Eckhart, Die deutschen Werke,
hrsg. von Jos. Quint, I Pr. 6 (= Pfeiffer LXV), S. 110, 8—111, 2. 6—7.