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Martin Dibelius:
— alles dies ist beiden Texten geläufig. Und da der Redner gerade
dieses Zitat mit einer literarischen Wendung einführt, hegt die An-
nahme nahe genug, daß er wirklich das Gedicht des Arat und nicht
nur diesen einen herausgehobenen Halbvers gekannt hat. Auch in
dem Zeushymnus des Stoikers Kleanthes, eines Zeitgenossen des
Arat, begegnet ein ähnlicher Vers, aber Kleanth will nicht wie Arat
den Wirkungen des Gottes auf Erden nachspüren, sondern er will
das Recht des Menschen begründen, dem Gott seinen Preis darzu-
bringen: σέ γάρ πάντεσσι Άέμις Ανητοΐσι προσαυδαν. | εκ σου γάρ γένος
είσ’ ήχου μίμημα λαχόντες j μοΰνοι, δσα ζοιει δε και ερπει Ανήτ5
επί γαΐαν1. Ein engerer Zusammenhang zwischen diesem Zitat
und der Areopagrede ist nicht nachweisbar. Wohl aber zeigt sich,
wie geläufig der Gedanke von der Gottverwandtschaft des Men-
schen der hellenistischen Dichtung und Philosophie ist. Von daher
ist er an den Verfasser der Areopagrede gelangt.
Denn das Alte Testament kommt als Ursprungsort dieses
Motivs nicht in Retracbt. Man könnte an den Gedanken erinnern,
daß der Mensch Gottes Ebenbild sei; aber diese Idee ist nach Ur-
sprung und Reichweite völlig anders zu verstehen. Die Erzählung
der Genesis (1, 27) will damit die Herrschaft des Menschen über
die gesamte übrige Schöpfung begründen; das ist dort ausdrück-
lich gesagt und wird auch Sir. 17, 3 betont. Aber dieser Vorzug
des Menschen gründet sich auf seine Erschaffung, also auf die Ver-
gangenheit. Aus ihm wird die Herrschaft über die Tiere abgeleitet
wie das Verbot Menschenblut zu vergießen (Gen. 9, 6). Aber daß
der Mensch deswegen besonders mit Gott verbunden wäre, daß er
von Natur, während er jetzt lebt, in Gott seine Existenz und sein
Wesen hätte, das sagt das Alte Testament schon darum nicht, weil
es eine gewisse besondere Verbundenheit mit Gott —- wenn auch
nicht jene panentheistische der Areopagrede — dem Volke Israel
zuschreibt. Man kann also nicht sagen, daß dieser panentheistische
Gedanke der Gottverwandtschaft mit dem alttestamentlichen der
Gottesebenbildlichkeit „konvergiere“2.
Wohl aber ist dieser Gedanke der Gottverwandtschaft des
1 Cleanthes, ln Jovem 3—5 (Stoicorum iragm. I Nr. 537 Arnim). Über
einen Dichter Timagenes, den die armenische Catene zur Apg. hier neben Arat
nennt, wissen wir nichts Sicheres; vgl. Ti-ieod. Zahn, Kommentar zur Apg. 625.
2 So Harnack, Ist die Rede des Paulus in Athen ein ursprünglicher
Bestandteil der Apostelgeschichte ? S. 24, A. 2.
Martin Dibelius:
— alles dies ist beiden Texten geläufig. Und da der Redner gerade
dieses Zitat mit einer literarischen Wendung einführt, hegt die An-
nahme nahe genug, daß er wirklich das Gedicht des Arat und nicht
nur diesen einen herausgehobenen Halbvers gekannt hat. Auch in
dem Zeushymnus des Stoikers Kleanthes, eines Zeitgenossen des
Arat, begegnet ein ähnlicher Vers, aber Kleanth will nicht wie Arat
den Wirkungen des Gottes auf Erden nachspüren, sondern er will
das Recht des Menschen begründen, dem Gott seinen Preis darzu-
bringen: σέ γάρ πάντεσσι Άέμις Ανητοΐσι προσαυδαν. | εκ σου γάρ γένος
είσ’ ήχου μίμημα λαχόντες j μοΰνοι, δσα ζοιει δε και ερπει Ανήτ5
επί γαΐαν1. Ein engerer Zusammenhang zwischen diesem Zitat
und der Areopagrede ist nicht nachweisbar. Wohl aber zeigt sich,
wie geläufig der Gedanke von der Gottverwandtschaft des Men-
schen der hellenistischen Dichtung und Philosophie ist. Von daher
ist er an den Verfasser der Areopagrede gelangt.
Denn das Alte Testament kommt als Ursprungsort dieses
Motivs nicht in Retracbt. Man könnte an den Gedanken erinnern,
daß der Mensch Gottes Ebenbild sei; aber diese Idee ist nach Ur-
sprung und Reichweite völlig anders zu verstehen. Die Erzählung
der Genesis (1, 27) will damit die Herrschaft des Menschen über
die gesamte übrige Schöpfung begründen; das ist dort ausdrück-
lich gesagt und wird auch Sir. 17, 3 betont. Aber dieser Vorzug
des Menschen gründet sich auf seine Erschaffung, also auf die Ver-
gangenheit. Aus ihm wird die Herrschaft über die Tiere abgeleitet
wie das Verbot Menschenblut zu vergießen (Gen. 9, 6). Aber daß
der Mensch deswegen besonders mit Gott verbunden wäre, daß er
von Natur, während er jetzt lebt, in Gott seine Existenz und sein
Wesen hätte, das sagt das Alte Testament schon darum nicht, weil
es eine gewisse besondere Verbundenheit mit Gott —- wenn auch
nicht jene panentheistische der Areopagrede — dem Volke Israel
zuschreibt. Man kann also nicht sagen, daß dieser panentheistische
Gedanke der Gottverwandtschaft mit dem alttestamentlichen der
Gottesebenbildlichkeit „konvergiere“2.
Wohl aber ist dieser Gedanke der Gottverwandtschaft des
1 Cleanthes, ln Jovem 3—5 (Stoicorum iragm. I Nr. 537 Arnim). Über
einen Dichter Timagenes, den die armenische Catene zur Apg. hier neben Arat
nennt, wissen wir nichts Sicheres; vgl. Ti-ieod. Zahn, Kommentar zur Apg. 625.
2 So Harnack, Ist die Rede des Paulus in Athen ein ursprünglicher
Bestandteil der Apostelgeschichte ? S. 24, A. 2.