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Martin Dibelius:
beruht freilich die Nähe mehr auf der Mystik der Immanenz —-
Gott ist im Menschen* 1, — während der Areopagredner die Inhärenz
betont — der Mensch hat sein Leben in Gott —; aber Seneca hat
in der Vorrede zu den Quaestiones naturales ganz im Sinn der
Apostelgeschichte den Beweis der göttlichen Abstammung des Men-
schen geführt: das Göttliche ist ihm Genuß und die oberen Räume
sind seine Heimat2. Und nach Lactanz (Divin. instit. VI 253) hat.
Seneca in seiner Philosophia moralis geradezu eine Zusamm n-
fassung von Gedanken gegeben, auf die der Areopagredner anspielt:
man solle Gott groß und milde denken, als Freund und immer
nahe (amicum et semper in proximo), nicht solle man ihn durch
Opfer und Blutvergießen verehren, sondern mit reinem Gemüt, mit
gutem und sittlichen Vorsatz. Nicht Tempel sollten ihm errichtet
werden, er sei im eigenen Inneren zu verehren3. Die Bedienung
der Götter aber, die der Areopagredner 17, 25 abgelehnt hatte,
kritisiert Seneca in einem Überblick über die Gebräuche verschie-
dener Religionen höchst eindrucksvoll im 95. Brief. Die einen zün-
den Lichter am Sabbat an, aber die Götter bedürfen des Lichtes
nicht und auch die Menschen haben am Rauch keine Freude. An-
dere machen den Göttern morgens ihre Aufwartung und sitzen an
den Tempeltüren; aber nur menschlicher Ehrgeiz könnte durch
dergleichen bestochen werden; Gottes Verehrung besteht darin,
daß man ihn kennt (cleum colit, qui novit ep. 95, 47). Noch andere
bringen dem Juppiter Laken und Striegel fürs Bad, der Juno den
Spiegel — ein schönes Beispiel für das θεραπεύεσθαι ύπό χεφών
ανθρωπίνων Act. 17, 25 —, aber Gott braucht keine Diener, son-
dern dient selbst dem Menschengeschlecht, er ist überall und allen
zuhanden (non quaerit ministros deus. quidni? Ipse humano generi
ministrat, ubique et omnibus praesto est, ep. 95, 47). Und der Ge-
danke von der Gottverwandtschaft klingt hier wenigstens in der
quoque virorum bonorum .... habitat deus. In der Tat gilt dies nach Seneca
nur vom Guten, d. h. vom Weisen — aber der Weise ist keine übernatürlich
inspirierte Gestalt, sondern stellt nur dar, was die Menschen alle sein sollten.
1 Aber auch dies führt zum Gedenken der Verwandtschaft; vgl. Seneca
Ep. 12014 mens dei ex quo pars et in hoc pectus mortale defluxit.
2 Seneca Quaest. naturales I 12 cum illa (die ungeheuren Räume droben)
tetigil, alitur crescit ac velut vinculis liberatus in originem redit et hoc habet
argumentum divinitatis suae, c ·■ W illum divina delectant; nec ut alienis sed ut
suis interest.
3 Auf diese und die folgende Stelle hat Tn. Birt, Rhein. Museum 1914,
368 nachdrücklich hingewiesen.
Martin Dibelius:
beruht freilich die Nähe mehr auf der Mystik der Immanenz —-
Gott ist im Menschen* 1, — während der Areopagredner die Inhärenz
betont — der Mensch hat sein Leben in Gott —; aber Seneca hat
in der Vorrede zu den Quaestiones naturales ganz im Sinn der
Apostelgeschichte den Beweis der göttlichen Abstammung des Men-
schen geführt: das Göttliche ist ihm Genuß und die oberen Räume
sind seine Heimat2. Und nach Lactanz (Divin. instit. VI 253) hat.
Seneca in seiner Philosophia moralis geradezu eine Zusamm n-
fassung von Gedanken gegeben, auf die der Areopagredner anspielt:
man solle Gott groß und milde denken, als Freund und immer
nahe (amicum et semper in proximo), nicht solle man ihn durch
Opfer und Blutvergießen verehren, sondern mit reinem Gemüt, mit
gutem und sittlichen Vorsatz. Nicht Tempel sollten ihm errichtet
werden, er sei im eigenen Inneren zu verehren3. Die Bedienung
der Götter aber, die der Areopagredner 17, 25 abgelehnt hatte,
kritisiert Seneca in einem Überblick über die Gebräuche verschie-
dener Religionen höchst eindrucksvoll im 95. Brief. Die einen zün-
den Lichter am Sabbat an, aber die Götter bedürfen des Lichtes
nicht und auch die Menschen haben am Rauch keine Freude. An-
dere machen den Göttern morgens ihre Aufwartung und sitzen an
den Tempeltüren; aber nur menschlicher Ehrgeiz könnte durch
dergleichen bestochen werden; Gottes Verehrung besteht darin,
daß man ihn kennt (cleum colit, qui novit ep. 95, 47). Noch andere
bringen dem Juppiter Laken und Striegel fürs Bad, der Juno den
Spiegel — ein schönes Beispiel für das θεραπεύεσθαι ύπό χεφών
ανθρωπίνων Act. 17, 25 —, aber Gott braucht keine Diener, son-
dern dient selbst dem Menschengeschlecht, er ist überall und allen
zuhanden (non quaerit ministros deus. quidni? Ipse humano generi
ministrat, ubique et omnibus praesto est, ep. 95, 47). Und der Ge-
danke von der Gottverwandtschaft klingt hier wenigstens in der
quoque virorum bonorum .... habitat deus. In der Tat gilt dies nach Seneca
nur vom Guten, d. h. vom Weisen — aber der Weise ist keine übernatürlich
inspirierte Gestalt, sondern stellt nur dar, was die Menschen alle sein sollten.
1 Aber auch dies führt zum Gedenken der Verwandtschaft; vgl. Seneca
Ep. 12014 mens dei ex quo pars et in hoc pectus mortale defluxit.
2 Seneca Quaest. naturales I 12 cum illa (die ungeheuren Räume droben)
tetigil, alitur crescit ac velut vinculis liberatus in originem redit et hoc habet
argumentum divinitatis suae, c ·■ W illum divina delectant; nec ut alienis sed ut
suis interest.
3 Auf diese und die folgende Stelle hat Tn. Birt, Rhein. Museum 1914,
368 nachdrücklich hingewiesen.