48
Martin Dibeuus:
geeigneten Platz1. Aus Gründen der Topographie braucht man also
die Szene nicht auf die Agora zu verlegen.
Die Entscheidung hat, wie mir scheint, aber nicht eine topo-
graphische oder historische, sondern eine literarische Erwägung zu
geben. Wir haben ja zunächst festzustellen, was Lukas schildern
will — ganz abgesehen davon, ob es uns wahrscheinlich vorkommt
oder nicht -—; erst dann haben wir zu fragen, ob er Überliefe-
rungen benutzt oder frei gestaltet, und erst zuletzt, ob das so ge-
wonnene Bild unserem Urteil historisch möglich erscheint. Es darf
also nicht übersehen werden, wie Lukas, mit geschichtlichem Recht
oder ohne ein solches, die Szene gestaltet hat. Die ersten Gespräche
zwischen Paulus und den Wortführern der Athener spielen sich in
der Stadt ab: er redet in der Synagoge zu den Juden und „gott-
fürchtenden“ Heiden und auf der Agora zu den Passanten. Wenn
der Apostel nun von seinen Partnern nach 17, 19 bei der Hand
genommen und auf den Areopag geführt wird, so kann die Meinung
nicht die sein, daß die nächste Szene wieder auf dem Markt spielt,
vor der Königshalle; vorausgesetzt ist zweifellos ein Ortswechsel2:
also meint Lukas den Areshügel.
Nun aber erhebt sich die literarische Frage, aus welchem
Recht Lukas, diese Szene gestaltet, d. h. welches Material er dabei
benutzt habe. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht3, daß
der Darstellung der Paulus-Reisen in der Apostelgeschichte (13, 1
bis 14, 28; 15, 35 bis 21, 16) offenbar eine Aufzeichnung, die man
als Itinerar bezeichnen kann, zugrunde liegt: Nachrichten über
die Reisestationen, Gastfreunde, Predigttätigkeit und Predigt-
■erfolg, Gemeindegründung, Konflikte und freiwillige oder erzwun-
gene Abreise kehren — der jeweiligen Lage entsprechend — immer
1 Ich danke es einem Hinweis von Arnold von Salis, daß ich diese
Möglichkeit erwägen und auf diese Weise vielleicht einem bereits üblich ge-
wordenen Vorurteil ein Ende bereiten kann. ·— Vgl. Judeich, Topographie
von Athen2, 1931, S. 299 und die Abbildung Tafel 13.
2 Einige Zeugen des „abendländischen“ Textes, darunter D, lassen diesen
Gang zum Areopag erst „nach einigen Tagen“ stattfinden. Diese Erweite-
rung reiht sich anderen der gleichen Textgruppe an, die offenbar auf Über-
legung der Umstände beruhen und also kommentierende Verbesserungen dar-
stellen. Keiner hätte diese Zeitangabe gestrichen; wohl aber erklärt sich ihre
Einfügung aus der fragenden Erwägung, ob dies alles sich wirklich an einem
Tage abgespielt habe.
3 „Stilkritisches zur Apostelgeschichte“ in Eucharisterion für Gunkel
(1923) II, 30—32.
Martin Dibeuus:
geeigneten Platz1. Aus Gründen der Topographie braucht man also
die Szene nicht auf die Agora zu verlegen.
Die Entscheidung hat, wie mir scheint, aber nicht eine topo-
graphische oder historische, sondern eine literarische Erwägung zu
geben. Wir haben ja zunächst festzustellen, was Lukas schildern
will — ganz abgesehen davon, ob es uns wahrscheinlich vorkommt
oder nicht -—; erst dann haben wir zu fragen, ob er Überliefe-
rungen benutzt oder frei gestaltet, und erst zuletzt, ob das so ge-
wonnene Bild unserem Urteil historisch möglich erscheint. Es darf
also nicht übersehen werden, wie Lukas, mit geschichtlichem Recht
oder ohne ein solches, die Szene gestaltet hat. Die ersten Gespräche
zwischen Paulus und den Wortführern der Athener spielen sich in
der Stadt ab: er redet in der Synagoge zu den Juden und „gott-
fürchtenden“ Heiden und auf der Agora zu den Passanten. Wenn
der Apostel nun von seinen Partnern nach 17, 19 bei der Hand
genommen und auf den Areopag geführt wird, so kann die Meinung
nicht die sein, daß die nächste Szene wieder auf dem Markt spielt,
vor der Königshalle; vorausgesetzt ist zweifellos ein Ortswechsel2:
also meint Lukas den Areshügel.
Nun aber erhebt sich die literarische Frage, aus welchem
Recht Lukas, diese Szene gestaltet, d. h. welches Material er dabei
benutzt habe. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht3, daß
der Darstellung der Paulus-Reisen in der Apostelgeschichte (13, 1
bis 14, 28; 15, 35 bis 21, 16) offenbar eine Aufzeichnung, die man
als Itinerar bezeichnen kann, zugrunde liegt: Nachrichten über
die Reisestationen, Gastfreunde, Predigttätigkeit und Predigt-
■erfolg, Gemeindegründung, Konflikte und freiwillige oder erzwun-
gene Abreise kehren — der jeweiligen Lage entsprechend — immer
1 Ich danke es einem Hinweis von Arnold von Salis, daß ich diese
Möglichkeit erwägen und auf diese Weise vielleicht einem bereits üblich ge-
wordenen Vorurteil ein Ende bereiten kann. ·— Vgl. Judeich, Topographie
von Athen2, 1931, S. 299 und die Abbildung Tafel 13.
2 Einige Zeugen des „abendländischen“ Textes, darunter D, lassen diesen
Gang zum Areopag erst „nach einigen Tagen“ stattfinden. Diese Erweite-
rung reiht sich anderen der gleichen Textgruppe an, die offenbar auf Über-
legung der Umstände beruhen und also kommentierende Verbesserungen dar-
stellen. Keiner hätte diese Zeitangabe gestrichen; wohl aber erklärt sich ihre
Einfügung aus der fragenden Erwägung, ob dies alles sich wirklich an einem
Tage abgespielt habe.
3 „Stilkritisches zur Apostelgeschichte“ in Eucharisterion für Gunkel
(1923) II, 30—32.