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Martin Dibelius:
Weise antiker Geschichtsschreibung vom Autor eingeschaltet sind.
Ob er sich dabei gelegentlich auf eigene oder fremde Erinnerung
stützen konnte, mag unerörtert bleiben, da wir darüber schlechter-
dings nichts wissen. Als Ganzes sind die Reden vom Verf. ge-
schaffen und es kam ihm dabei zuerst auf die Belehrung der Leser
und nicht auf die Bereicherung ihrer geschichtlichen Kenntnisse an.
Die Reden antworten auf die Frage: Wie soll man reden? und
nicht auf die andere: Wie hat jener Mann damals geredet?
So muß also die Areopagrede schon aus literarischen Grün-
den für ein Werk des Verf. der Apostelgeschichte gelten,
nicht aber eines Überarbeiters des ganzen Buches. Dazu kommen
nun, dieses Urteil neu begründend, die Ergebnisse der geistes-
geschichtlichen Analyse. Es hat sich gezeigt, daß die Theologie
der Areopagrede der des Paulus schlechterdings fremd, ja im ganzen
Neuen Testament ein Fremdkörper ist1. Sie hat ihr Seitenstück
nur in den paar Sätzen, die Paulus Apg. 14,15—17 in Lystra spricht,
um das Volk davon abzuhalten, ihn und Barnabas als Götter zu
verehren2. Beide Redestücke sind vom Verfasser ausgearbeitet,
1 Diese Gruppe von Gründen ist in der neueren Literatur vor allem von
Albert Schweitzer kurz aber schlagend vorgetragen worden (Die Mystik
des Apostels Paulus, 1930, 6—10).
2 Da im Lauf dieser Untersuchung immer wieder auf jenes Redestück 14,
15—17 als die einzige Parallele der Areopagrede im Neuen Testament ver-
wiesen wurde, ist hier ein Vergleich zwischen beiden am Platze. Auch in Lystra
redet Paulus zu Heiden, auch diese „Rede“ hebt sich trotz ihrer Kürze durch
einen gewählteren Stil aus der Erzählung heraus: vgl. έν ταΐς παρωχημένους
γενεαΐς, die Litotes ούκ άμάρτυρον αυτόν άφηκεν, das Homoioteleuton ύετούς
διδούς und die Alliteration καιρούς καρποφόρους. Auch in Act. 14 begegnet
eine feierliche Prädikation Gottes, auch hier findet sich der Gottesbeweis aus
der Naturordnung, insbesondere den Jahreszeiten. Aber im Ganzen steht diese
„Rede“ in Lystra der Septuaginta-Bibel etwas näher als die Areopagrede. Die
Gottesprädikation enthält nicht wie die 17, 24 das Wort κόσμος, sondern ist
ganz alttestamentlich gehalten, s. Ex. 20, 11; die Götter werden durch oi
μάταιοι, (oder τά μάταια) bezeichnet wie III. Reg. 16, 2. 13. 26. IV. Reg.
17, 15. Esth. 4, 17 p. Jer. 2, 5. 8, 19. III. Marc. 6, 11. — Auf das Motiv
der Unwissenheit (17, 30) wird zwar in 14, 16 angespielt, es fehlt aber der
Hinweis auf die Heilsoffenbarung, die der Unwissenheit ein Ende gemacht
habe; und das hat wieder seinen Grund in der Situation: sie verlangte, daß
das Neue der christlichen Gottespredigt (hier eingeführt mit dem Wort εύαγγε-
λίζεσΟαι) gleich am Anfang im Gegensatz zu der heidnischen Menschen-
vergötterung· vorgetragen würde. — Am originellsten ist die Ausführung in
14, 17. Hier werden im Zuge des Gottesbeweises wie auch sonst (s. oben
S. 7) die Jahreszeiten erwähnt. Urnen sind hier die Regenfälle gesellt oder
vielleicht besser die Regenzeiten, die mehr zum Gedanken der segenbringen-
Martin Dibelius:
Weise antiker Geschichtsschreibung vom Autor eingeschaltet sind.
Ob er sich dabei gelegentlich auf eigene oder fremde Erinnerung
stützen konnte, mag unerörtert bleiben, da wir darüber schlechter-
dings nichts wissen. Als Ganzes sind die Reden vom Verf. ge-
schaffen und es kam ihm dabei zuerst auf die Belehrung der Leser
und nicht auf die Bereicherung ihrer geschichtlichen Kenntnisse an.
Die Reden antworten auf die Frage: Wie soll man reden? und
nicht auf die andere: Wie hat jener Mann damals geredet?
So muß also die Areopagrede schon aus literarischen Grün-
den für ein Werk des Verf. der Apostelgeschichte gelten,
nicht aber eines Überarbeiters des ganzen Buches. Dazu kommen
nun, dieses Urteil neu begründend, die Ergebnisse der geistes-
geschichtlichen Analyse. Es hat sich gezeigt, daß die Theologie
der Areopagrede der des Paulus schlechterdings fremd, ja im ganzen
Neuen Testament ein Fremdkörper ist1. Sie hat ihr Seitenstück
nur in den paar Sätzen, die Paulus Apg. 14,15—17 in Lystra spricht,
um das Volk davon abzuhalten, ihn und Barnabas als Götter zu
verehren2. Beide Redestücke sind vom Verfasser ausgearbeitet,
1 Diese Gruppe von Gründen ist in der neueren Literatur vor allem von
Albert Schweitzer kurz aber schlagend vorgetragen worden (Die Mystik
des Apostels Paulus, 1930, 6—10).
2 Da im Lauf dieser Untersuchung immer wieder auf jenes Redestück 14,
15—17 als die einzige Parallele der Areopagrede im Neuen Testament ver-
wiesen wurde, ist hier ein Vergleich zwischen beiden am Platze. Auch in Lystra
redet Paulus zu Heiden, auch diese „Rede“ hebt sich trotz ihrer Kürze durch
einen gewählteren Stil aus der Erzählung heraus: vgl. έν ταΐς παρωχημένους
γενεαΐς, die Litotes ούκ άμάρτυρον αυτόν άφηκεν, das Homoioteleuton ύετούς
διδούς und die Alliteration καιρούς καρποφόρους. Auch in Act. 14 begegnet
eine feierliche Prädikation Gottes, auch hier findet sich der Gottesbeweis aus
der Naturordnung, insbesondere den Jahreszeiten. Aber im Ganzen steht diese
„Rede“ in Lystra der Septuaginta-Bibel etwas näher als die Areopagrede. Die
Gottesprädikation enthält nicht wie die 17, 24 das Wort κόσμος, sondern ist
ganz alttestamentlich gehalten, s. Ex. 20, 11; die Götter werden durch oi
μάταιοι, (oder τά μάταια) bezeichnet wie III. Reg. 16, 2. 13. 26. IV. Reg.
17, 15. Esth. 4, 17 p. Jer. 2, 5. 8, 19. III. Marc. 6, 11. — Auf das Motiv
der Unwissenheit (17, 30) wird zwar in 14, 16 angespielt, es fehlt aber der
Hinweis auf die Heilsoffenbarung, die der Unwissenheit ein Ende gemacht
habe; und das hat wieder seinen Grund in der Situation: sie verlangte, daß
das Neue der christlichen Gottespredigt (hier eingeführt mit dem Wort εύαγγε-
λίζεσΟαι) gleich am Anfang im Gegensatz zu der heidnischen Menschen-
vergötterung· vorgetragen würde. — Am originellsten ist die Ausführung in
14, 17. Hier werden im Zuge des Gottesbeweises wie auch sonst (s. oben
S. 7) die Jahreszeiten erwähnt. Urnen sind hier die Regenfälle gesellt oder
vielleicht besser die Regenzeiten, die mehr zum Gedanken der segenbringen-