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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1957, 2. Abhandlung): Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus: zur Grundlegung des Kirchenrechts — Heidelberg, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.42454#0031
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Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus

29

III.
Was ergibt sich nun aus dieser Fülle von konkreten Argumentationen
und Beweisen zusammenfassend für eine grundsätzliche Betrachtung des
Kirchenrechts in der Kirche, so wie Paulus sie sieht und erfährt? Ich
denke, das Erste, was sich nach dieser Übersicht jedem Beobachter un-
mittelbar aufdrängen muß, ist die auffallende Gewichtsverschiedenheit
der Argumente, die Paulus ins Feld führt. Von der Beachtung dieses Tat-
bestands hängt die richtige Einordnung der einzelnen paulinischen Sätze
entscheidend ab, und insbesondere wird es nur so klar, was eine rechtliche
Weisung im Rahmen seines Denkens bedeuten kann und was nicht. Fast
jedes unserer Beispiele ruht in seinem Beweisgang auf einem nachdrücklich
und appellierend hervorgehobenen Hauptgedanken, der die daraus erwach-
sende Forderung unmittelbar begründet und trägt, und einer Reihe von wei-
teren, erklärenden und sichernden Hinzufügungen, die sie in ihrer Geltung
stützen, ergänzen und verstärken sollen. Während diese je nach Anlaß und
Situation von recht verschiedenem Wert und Charakter sind, ist der Haupt-
gedanke im Grunde immer ein und derselbe. Alles, was Paulus an bestimm-
ter Ordnung und rechtlicher Regelung in der Gemeinde wünscht, fordert und
empfiehlt, soll als notwendiger Ausdruck, als Entfaltung und Bewährung
dessen begriffen werden, was mit dem wesenhaften neuen Sein, mit der
Wirklichkeit der Kirche und dem Christenstande jedes einzelnen Christen
unmittelbar wirksam gegeben ist62. Insofern hat das Kirchenrecht einen
„übernatürlichen“ Ursprung und ruht als eine abgeleitete Größe auf ein-
malig-geschichtlichen, wunderbaren, gestifteten Voraussetzungen. Je nach
dem Zusammenhang betont Paulus dabei vor allem die neue Gemeinschaft
mit Christus, die Gliedschaft aller Christen in einem Leibe, die Führung
durch den Heiligen Geist oder die eindeutige Geschiedenheit von der
Welt, ihren Götzen und Sünden. So oder so erscheint dahinter immer
wieder die Einzigartigkeit der christlichen „Berufung“, des Seins der
Kirche in Christus mit allen Möglichkeiten und Verheißungen, die dadurch
gegeben sind und die zu einem neuen Leben der Heiligkeit, der Liebe
und des Gehorsams verpflichten63.
Von diesem zentralen Punkte aus erklären sich alle wesentlichen Züge
der paulinischen — und nicht nur der paulinischen — Predigt, Unter-
weisung und Forderung. Es ist, wie schon gesagt, ohne weiteres deutlich, daß
eine prinzipielle Begründung des Kirchenrechts auf allgemein menschliche
62 Diese „ethischen Konsequenzen der Heilstat Gottes“ hat besonders Asting,
Heiligkeit S. 202 ff., als das „Heilsmotiv“ der paulinischen Ermahnung treffend
hervorgehoben.
63 Die bei Paulus sehr wirksame und sachlich dazugehörige Drohung mit dem
eschatologischen Gericht hat dagegen keine die Forderung im einzelnen
begründende und motivierende, sondern nur unterstreichende Bedeutung.
 
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