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Hans Frhr. von Campenhausen
ren, ein sonst vielleicht mögliches Mißtrauen zu zerstreuen, hat der Be-
richterstatter, wie so oft in derartigen Fällen, gar nicht bemerkt, zu welch
seltsamen Konsequenzen seine Darstellung führen muß, sobald man sie
in eine andere Richtung verfolgt, als er sie im Auge hatte.
Die vorgetragene Erklärung hat, wie gesagt, den Vorzug, mit einer
auch sonst in der Überlieferung bezeugten Tendenz übereinzustimmen;
deren Sinne — sei es nach Wellhausens, sei es nach meiner Deutung — auch
schon tendenziös war (S. 50). Das hängt mit Marxsens Vorstellung von der
galiläischen Orientierung des Markusevangeliums im ganzen zusammen, die
sich indessen, wie mir scheint, zum mindesten an der vorliegenden Stelle nicht
bewährt. Ähnlich wie vor ihm Lohmeyer und in anderer Weise Evans
(o. Anm. 83) sieht Marxsen in „Galiläa“ nicht nur einen geographischen, son-
dern auch, ja vorzüglich einen theologischen Begriff: Galiläa muß „in einem
viel tieferen als bloß historischen Sinn“ als die „Heimat“ Jesu verstanden
werden; „es ist der Ort, wo er gewirkt hat, wo er — in der Verkündigung
verborgen — jetzt wirkt, wo er bei seiner Parusie wirken wird“ (S. 60). Diese
Anschauung wird mit dem bekannten Auszug der Urgemeinde aus Jerusalem
in den Jahren 66—70 in Verbindung gebracht, und dieser wieder hängt „offen-
bar“ mit der „in Galiläa erwarteten Parusie“ innerlich zusammen. Von dieser
sei auch in den Worten des Engels die Rede, und Jesu Aufenthalt in Galiläa
sei auf seine „verborgene“ Gegenwart in der Verkündigung in Galiläa als
einer „Antecipation der Parusie“ zu beziehen. Ich gestehe, daß mir diese Ver-
bindung mythologischer und modern theologischer Gedanken schon als solche
einigermaßen wunderlich erscheint. Aber auch die exegetische Begründung im
einzelnen, die dafür versucht wird, ist mehr als brüchig. Marxsen erkennt,
daß Lohmeyers sprachliche Erklärungen für die vermeintliche Ankündigung
der Parusie im Engelwort Mk. 16, 7 an und für sich nicht stichhaltig sind (u.
Anm. 193) und beruft sich darum mit Michaelis (der den Vers indessen für ein
echtes Jesuswort ansieht) auf den parallelen Einschub von Mk. 14, 28. Hier
fiele nämlich auf, daß der Vers im Gegensatz zu Mk. 16, 7 „eine Zeitangabe
enthält (nach meiner Auferstehung), die — aus der Situation Jesu heraus —
auf ein Geschehen hinweist, das von der Auferstehung abgesetzt ist, zeitlich
später liegt. So kann mit diesem Vers nur die Parusie gemeint sein“ (S. 55).
Das ist eine merkwürdige Folgerung. Es ist nicht einzusehen, warum der
Umstand, daß Jesus „nach seiner Auferstehung“ (wann denn sonst?) von
Jerusalem nach Galiläa kommen will, nur von der Parusie verstanden wer-
den „kann“ und nicht genau so gut oder noch besser von den Osterbegegnungen
des Auf erstandenen mit seinen Jüngern. Diese muß auch Markus, wie Marxsen
zugibt, gekannt und anerkannt haben, und alle sonstigen urchristlichen Zeu-
gen, angefangen mit dem Apostel Paulus, haben den Osterglauben in erster
Linie auf sie begründet. Markus kann sie 16, 7 um so weniger aus den Augen
verloren und zugunsten der vermeintlichen Parusie in Galiläa gewissermaßen
übersprungen haben, als die Form, in der gerade er die Entdeckung des Gra-
bes berichtet, am allerwenigsten ausreidit, um eine, wie Marxsen will, voll-
gültige Ostergeschichte abzugeben. Es besteht also keinerlei Veranlassung, die
zweifellos nächstliegende Deutung von Mk. 16, 7 zu Gunsten einer so gewalt-
sam begründeten Hypothese fahren zu lassen. Die übertriebene Skepsis, die
J. M. Robinson, Das Geschichtsverständnis des Markus-Evangeliums (1956)
86, auf jede bestimmte Auslegung des fraglichen Verses verziditen läßt, er-
scheint mir gleichfalls nicht angemessen.
Hans Frhr. von Campenhausen
ren, ein sonst vielleicht mögliches Mißtrauen zu zerstreuen, hat der Be-
richterstatter, wie so oft in derartigen Fällen, gar nicht bemerkt, zu welch
seltsamen Konsequenzen seine Darstellung führen muß, sobald man sie
in eine andere Richtung verfolgt, als er sie im Auge hatte.
Die vorgetragene Erklärung hat, wie gesagt, den Vorzug, mit einer
auch sonst in der Überlieferung bezeugten Tendenz übereinzustimmen;
deren Sinne — sei es nach Wellhausens, sei es nach meiner Deutung — auch
schon tendenziös war (S. 50). Das hängt mit Marxsens Vorstellung von der
galiläischen Orientierung des Markusevangeliums im ganzen zusammen, die
sich indessen, wie mir scheint, zum mindesten an der vorliegenden Stelle nicht
bewährt. Ähnlich wie vor ihm Lohmeyer und in anderer Weise Evans
(o. Anm. 83) sieht Marxsen in „Galiläa“ nicht nur einen geographischen, son-
dern auch, ja vorzüglich einen theologischen Begriff: Galiläa muß „in einem
viel tieferen als bloß historischen Sinn“ als die „Heimat“ Jesu verstanden
werden; „es ist der Ort, wo er gewirkt hat, wo er — in der Verkündigung
verborgen — jetzt wirkt, wo er bei seiner Parusie wirken wird“ (S. 60). Diese
Anschauung wird mit dem bekannten Auszug der Urgemeinde aus Jerusalem
in den Jahren 66—70 in Verbindung gebracht, und dieser wieder hängt „offen-
bar“ mit der „in Galiläa erwarteten Parusie“ innerlich zusammen. Von dieser
sei auch in den Worten des Engels die Rede, und Jesu Aufenthalt in Galiläa
sei auf seine „verborgene“ Gegenwart in der Verkündigung in Galiläa als
einer „Antecipation der Parusie“ zu beziehen. Ich gestehe, daß mir diese Ver-
bindung mythologischer und modern theologischer Gedanken schon als solche
einigermaßen wunderlich erscheint. Aber auch die exegetische Begründung im
einzelnen, die dafür versucht wird, ist mehr als brüchig. Marxsen erkennt,
daß Lohmeyers sprachliche Erklärungen für die vermeintliche Ankündigung
der Parusie im Engelwort Mk. 16, 7 an und für sich nicht stichhaltig sind (u.
Anm. 193) und beruft sich darum mit Michaelis (der den Vers indessen für ein
echtes Jesuswort ansieht) auf den parallelen Einschub von Mk. 14, 28. Hier
fiele nämlich auf, daß der Vers im Gegensatz zu Mk. 16, 7 „eine Zeitangabe
enthält (nach meiner Auferstehung), die — aus der Situation Jesu heraus —
auf ein Geschehen hinweist, das von der Auferstehung abgesetzt ist, zeitlich
später liegt. So kann mit diesem Vers nur die Parusie gemeint sein“ (S. 55).
Das ist eine merkwürdige Folgerung. Es ist nicht einzusehen, warum der
Umstand, daß Jesus „nach seiner Auferstehung“ (wann denn sonst?) von
Jerusalem nach Galiläa kommen will, nur von der Parusie verstanden wer-
den „kann“ und nicht genau so gut oder noch besser von den Osterbegegnungen
des Auf erstandenen mit seinen Jüngern. Diese muß auch Markus, wie Marxsen
zugibt, gekannt und anerkannt haben, und alle sonstigen urchristlichen Zeu-
gen, angefangen mit dem Apostel Paulus, haben den Osterglauben in erster
Linie auf sie begründet. Markus kann sie 16, 7 um so weniger aus den Augen
verloren und zugunsten der vermeintlichen Parusie in Galiläa gewissermaßen
übersprungen haben, als die Form, in der gerade er die Entdeckung des Gra-
bes berichtet, am allerwenigsten ausreidit, um eine, wie Marxsen will, voll-
gültige Ostergeschichte abzugeben. Es besteht also keinerlei Veranlassung, die
zweifellos nächstliegende Deutung von Mk. 16, 7 zu Gunsten einer so gewalt-
sam begründeten Hypothese fahren zu lassen. Die übertriebene Skepsis, die
J. M. Robinson, Das Geschichtsverständnis des Markus-Evangeliums (1956)
86, auf jede bestimmte Auslegung des fraglichen Verses verziditen läßt, er-
scheint mir gleichfalls nicht angemessen.