Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0064
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
54

III. IDENTITÄT UND SELBSTBEWUSSTSEIN
Eine Untersuchung, welche einen solchen Zusammenhang so gut wie
möglich sicherstellen und zugleich Kants Gedanken über ihn durch-
sichtig machen will, steht vor noch größeren Schwierigkeiten als die
Analyse von Kants vieldeutigen Bemerkungen über Objektivität und
seiner bis zur Vagheit kontrahierten Definitionen von <Objekt> und
von <Kategorie>. Man kann nämlich in Kants gesamtem Werk keine
einzige Stelle finden, die eine hinreichende Evidenzbasis für die Auf-
klärung dieser für seine gesamte Theorie grundlegenden Ableitungen
bietet. Hat man einmal das zentrale Problem seiner Lehre vom Selbst-
bewußtsein deutlich von anderen Problemen unterschieden, die in der
transzendentalen Deduktion gleichfalls Gewicht haben und zur Gel-
tung kommen müssen, dann wird erst ganz klar, wie schmal die Basis
im Text der Kritik der reinen Vernunft ist, auf die sich die Inter-
pretation zu stützen hat. Und es wird weiterhin offenkundig, daß
Kant niemals darüber hinausgekommen ist, die Argumente, welche die
von ihm entdeckte Theorie tragen sollen, zu erwähnen oder anzu-
zeigen. Nirgends finden sie sich in irgendeiner Ausarbeitung, die es
erlaubt, einzelne Schritte zu kontrollieren, und nirgends ist es möglich,
aufgrund von Kants eigenen ausdrücklichen Erklärungen zwischen
einer Reihe von alternativen Weisen, den Text zu lesen, in aller Ein-
deutigkeit zu entscheiden. Wie im Falle der Problematik der Objek-
tivität, so standen Kant auch für die Lösung seiner Grundproblematik
eine Reihe von Argumenten zur Verfügung. Doch hat er sie in diesem
Falle nicht nur nicht durchgängig und klar voneinander unterschieden.
Er hat nicht eines von ihnen an irgendeiner Stelle, und sei es nach-
träglich und zu später Zeit, weitläufiger dargelegt, womit er die
Möglichkeit gegeben hätte, seine eigentliche Beweisabsicht von anderen
zu unterscheiden.
Es wird sich in der Folge zeigen, daß eine von Kants Argumen-
tationen in Kants Texten einigermaßen manifest und daß sie gegen-
über anderen Argumentationen dominant ist. Sie ist jedoch auch die-
jenige, welche nachhaltige und vermutlich unüberwindliche Zweifel
auf sich zieht. Der Text indiziert aber auch andere Argumente und
insbesondere eine bestimmte andere Argumentation. Im Gesamtzu-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften