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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0023
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Euripides’ Menea

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Insgesamt aber dominierte in Antike und Neuzeit ein Verständnis des
Stückes und seiner Heldin43, das sich an psychologisch-moralischen Ka-
tegorien orientierte, die der griechischen Vulgärethik ebenso vertraut
waren wie der popularisierten Lehre der meisten Philosophenschulen
nachklassischer Zeit44. Die nach Euripides verfaßten Medea-Dramen
operieren, unbeschadet jeweils neu eingeführter oder akzentuierter Mo-
tive, unbeschadet auch ihres jeweiligen poetischen Wertes, durchweg mit
ebendemselben psychologischen Arsenal.
Ich muß gestehen, daß ich das Bild, das Euripides von der Heroine
entwirft, reicher, fesselnder und tragischer finde. Es sind nicht Medeas
Gefühle, die ihr ungeheuerliches Tun bewirken. Ihre Gefühle und Leiden-
schaften sind zuallererst die einer Frau und Mutter, die sich nicht ab-
finden können mit einem Racheplan, den ihr zugleich allen Kontrahen-
ten überlegener und am Ehrenkodex einer männlichen Kriegergesell-
schaft orientierter Verstand ersonnen hat45. Aus dem Konflikt zwischen
weiblichem Fühlen und männlichem Planen aber ergibt sich die qual-
volle Bewußtheit ihres Tuns und Leidens.
Rezeptionsgeschichte ist etwas Gutes und Nützliches: In diesem Fall
lehrt sie uns, daß wir Euripides gegenüber einer Tradition in Schutz neh-
men sollten, die sich auf seine Nachfolge beruft.
 
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