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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0025
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Euripides’ Medea ■ Anmerkungen

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gelehrte Kontroverse hervorgerufen. Obwohl Page mit seiner Diskussion des Ma-
terials (Introduction p. XXXff.) und mit der stilistischen Analyse der Fragmente
aus der ‘Medea’ des Neophron die Wahrscheinlichkeit einer Priorität des Euripides
über jeden Zweifel erhob (vgl. auch F. Wehrli zu Dikaiarchos fr. 63 = Schule des
Aristoteles 1,27) haben auch Spätere, darunter Kurt v. Fritz, Antike und moderne
Tragödie 334ff., und Bruno Snell, Szenen aus griechischen Dramen, Berlin 1971,
199f. (vgl. auch u. S. 26), mit dem Hinweis auf die Autorität Dikaiarchs und aus
anderen Gründen sich diese Vermutung immer wieder zu eigen gemacht. Die be-
achtlichsten Argumente dafür hat E. Christmann (Bemerkungen zum Text der
Medea des Euripides, Diss. Heidelberg 1962; vgl. auch F. Dirlmeier, Gymn. 67,
1960, 26ff.) vorgebracht, die deshalb hier kurz erörtert werden sollen. Christmann
(99ff.) hält das Motiv einer alten Bekanntschaft zwischen Medea und Aigeus (663ff.)
für eine Erfindung des Euripides, mit der dieser eine gegenseitige Vorstellung der
beiden überflüssig gemacht habe, die sich bei seinem Vorgänger Neophron aus dem
Mo tiv ergab, daß Aigeus das empfangene Orakel von Medea erklärt haben wollte.
Nun wissen wir freilich nicht, ob auch Neophron eine bereits bestehende Bekannt-
schaft zwischen Aigeus und Medea voraussetzte. Möglich ist das durchaus.
Christmann glaubt ferner, daß die Stichomythie bei Euripides (665-683) auf
eine Deutung des Orakels durch Medea zulaufe, daß dieses Motiv dann aber un-
genützt zurücktrete, weil Aigeus den Pittheus als Deuter einführe, zu dem er sich
begeben wolle (683 ff.). In dem dann folgenden Teil der Stichomythie, in dem Medea
ihr Schicksal erzählt, laufe alles auf die Hikesie zu (690ff.), die Medea dann auch
wirklich vorbringe (708-713). Dann jedoch verspreche sie Aigeus Pharmaka gegen
Kinderlosigkeit, was sowohl dem Orakel wie der Hikesie zuwiderlaufe (714-718).
Man könne sich den Aufbau der Szene 663 ff. nur als Ergebnis einer Kontami-
nation erklären:

a
b
c
B
A
Kinderlosigkeit
Orakel
Bericht
Hikesie-
Kinderlosigkeit
des Aigeus
bis 687
Medeas
Motiv
des Aigeus,
bis 673
bis 708
bis 715
Pharmaka
bis 718

a-c-A oder b-c-B hätten eine zügiger durchgeführte Szene ergeben. Die Kombi-
nation erkläre sich aus der Auseinandersetzung mit der älteren Gestaltung der
Episode in dem Stück des Neophron nach a-b-B.
Nun ist in Wirklichkeit a und b nur ein Motiv. Dazu bleibt in Christmanns
Analyse unberücksichtigt, daß die Szene gerade in der Kompliziertheit der Ge-
sprächsführung Medeas überlegene Intelligenz, ihr planendes Verfügen über den
unverhofft auftretenden Aigeus schildert. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich er-
hofft sich Aigeus von Medea, die er kennt, ein klärendes Wort zu dem Orakel (677),
ohne daß dieses eine Deutung durch Pittheus überflüssig macht. Für Medea aber
kommt es darauf an, Aigeus’ Notlage genau zu durchschauen und sie für ihre
Zwecke auszunutzen. So erfährt sie bis 687 alles, was ihr zu wissen nützt und teilt
ihm dann erst die eigene Notlage mit. Die an Aigeus gerichtete Bitte um Unter-
stützung würzt sie mit dem Versprechen, ihrerseits den Dank mit ihrer Kunst ab-
zustatten. Daß gerade die Bitte um Asyl mit der Verheißung eines Lohnes für den
Asylgeber verknüpft wird, gibt es auch sonst. Man denke an den Oedipus auf
Kolonos’.
 
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