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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0026
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Albrecht Dihle

Nimmt man also die Funktionen der Aigeus-Szene für die Ökonomie des gan-
zen Dramas, insbesondere für die Porträtierung der Heldin, ernst (vgl. T. V. But-
trey, Am. Journ. Phil. 79, 1958, 1-17), ergibt sich schwerlich ein Anstoß, der nur
mit der Annahme eines ausdrücklichen Bezuges auf eine ältere Bühnenbearbeitung
erklärt werden kann. Hikesia- und Pharmaka-Motiv hängen auf das engste zusam-
men, und nichts überraschendes liegt darin, daß Medea ihrem Gesprächspartner
in dem angegebenen Zusammenhang ein Hilfsmittel anbietet, dessen es bei rich-
tiger, aber erst später zu erwartender Deutung des Orakels nicht bedarf. Das
Orakel-Motiv aber wird im Sinn der Ethopoiie virtuos ausgenutzt.
Was als Anstoß übrig bleibt, ist lediglich das schon von Aristoteles getadelte
unmotivierte Auftreten des Aigeus (663ff.; vgl. Poet. 1461 b 20f.). Hier aber hat
doch offenbar gerade Neophron geglättet, indem er, wie wir wissen, Aigeus mit
dem ausdrücklichen Wunsch zu Medea kommen ließ, von ihr das Orakel erklärt
zu bekommen. Alles spricht dafür, daß die Sage zunächst den Pittheus als Orakel-
deuter des Aigeus kannte, und daß sich Euripides hierin an die Tradition hielt,
während Neophron wegen der besseren Begründung für das Auftreten des Aigeus,
das er aus Euripides übernahm, Medea gegen die Tradition zur Orakeldeuterin
machte. Eine breite und alte Tradition bezeugt Pittheus, den Herrscher von Troi-
zen, als Weisen und Orakelgeber (Stellen bei Roscher 3, 2514f.). Pittheus gilt ein-
hellig als Vater der Aithra, und über Aithra läuft die alte, gleichfalls voreuripidei-
sche Verbindung des Theseus zu Troizen, einerlei ob Theseus als Sohn des Poseidon
oder des Aigeus galt. Sagengeschichtlich muß also ein Besuch des ratsuchenden
Aigeus bei Medea, nicht bei Pittheus, eine Neuerung sein. Euripides hält sich an
die Tradition, die Athen und Troizen verbindet und nimmt ein unmotiviertes Auf-
treten des Aigeus in Kauf, Neophron glättet die dramatische Motivierung und
vernachlässigt den Komplex der Theseus-Sage (Aigeus-Aithra-Pittheus). Medea,
nicht Pittheus, ist ein Eindringling in diesem Komplex. Auch hier deutet also alles
auf die Reihenfolge Euripides-Neophron. Daß Neophron die Theseus-Sage zu-
gunsten einer glatteren Dramaturgie vernachlässigte, mag damit Zusammenhängen,
daß er Sikyonier war (vgl. dazu Wehrli a. a. O. 62). Das alles paßt aber, ebenso wie
die von Page (a.a.O. XXXIVf.) zusammengestellten sprachlichen Merkmale der
Neophron-Fragmente, weit besser ins 4. Jh. als in das Athen der Zeit vor 431 v. C.
10 Außer den schon erwähnten Arbeiten von Kurt v. Fritz und K. H. Friedrich nenne
ich aus der umfänglichen Literatur nur R. Renner, Bayr. Blätter für Gymnasial-
schulwesen 62, 1926, 32ff.; 94ff.; 118ff.; 216ff.; 222ff.; 262ff.; 326ff. und A. Block,
Medea-Dramen der Weltliteratur, Diss. (masch.) Göttingen 1957, sowie J. Schon-
dorff (ed.), Medea, München 1963, wo sich eine Anzahl bedeutender Medea-Dra-
men alter und neuer Zeit in deutscher Übersetzung abgedruckt und eingeleitet
findet.
11 So sind etwa Gotter und Klinger nicht unabhängig voneinander. Vgl. G. Deile,
Königl. Gymnasium zu Erfurt, Beilage zum Jahresbericht 1900/01, sowie H. Zem-
pel, Erlebnisgehalt und ideelle Zeitverbundenheit in Klingers Medea-Dramen,
Diss. Halle 1929, 77. Wie bei Euripides selbst alle drei hier herausgehobenen
"Leitmotive’ wirksam werden, zeigt neuerdings B. Μ. W. Knox, Yale Class. Stud.
25, 1977, 193ff.
12 Das gilt z. B. für Grillparzer und für die 'Medee’ Legouve’s vom Jahr 1854.
13 Freilich erscheint auch schon in dem Fragment aus der 'Medea’ des Neophron
(Tr. G. F. 15 F 2) der Haß Medeas als Wahnsinn. Wie dieser die Überlegung bei-
 
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