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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0032
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Albrecht Dihle

590; 1266), vier Mal von ihrer bzw. einer in vergleichbarer Situation befindlichen
Frau όργή (447; 520; 615; 910). An keiner dieser Stellen spricht, wohlgemerkt,
Medea. Wo aber überhaupt Personen des Dramas mit einem der Wortgruppe θυ-
μός zugehörigen Ausdruck sich auf den haßvoll-erregten Zustand Medeas beziehen
handelt es sich in Sprech- und Singversen um Ableitungen von oder Zusammenset-
zungen mit θυμός: δυσθυμουμένη (91 Amme), βαρύθυμος (176 Chor), φρήν μιαι-
φονωτέρα (266 Medea), θυμουμένη (271 Chor), όξύθυμος (319 Kreon) φρενοβα-
ρής - so Page statt φρένων βαρύς - χόλος (1265f. Chor). Der von der Amme
im Blick auf Medea verwendete Ausdruck μείζονι θυμω (108) im Gegensatz
zu den vorher verwendeten Wörtern άγριον ήθος στυγερόν τε φύσιν φρενός
αύθάδους (103f.) ist eher eine vox media, die den höheren Intensitätsgrad der zu
erwartenden Klage bezeichnet. Wo θυμός allein verwendet wird, hat es die Bedeu-
tung „feindlich-aggresive Regung“ nur in 1152, wo der Bote von der ersten ableh-
nenden Reaktion der neuen Braut Jasons gegenüber den vor sie tretenden Kindern
Medeas berichtet. Die in unmittelbarer Nachbarschaft verwendeten Wörter όργή,
χόλος und δυσμενής (1150/51) determinieren θυμός unmißverständlich. Sonst
aber bezeichnet es im Mund der Amme in Beziehung auf Medea den Sitz der Liebe
(8) und als Träger allgemeiner Erregung (108), im Munde Medeas Beziehung auf
ein von ihr gebilligtes Verhalten Kreons den Wunsch oder die Neigung (310), in
einem Chorlied das Herz, das durch die Liebesgöttin zu guten wie zu schlechten
Impulsen gebracht werden kann (639). Das rechte Zusammenwirken von θυμός
und Verstand, auf das der Chor im Liede 824ff. reflektiert, wird als Miteinander von
Σοφία und Έρωτες beschrieben (844f.), womit die in der 'Medea’ vor allem zu er-
wartende Bedeutungshälfte deutlich anklingt (s.u. S. 31). Der θυμός kann eben
sowohl σωφροσύνη als auch όργαί als Begleiter haben (635ff.), wie der Chor for-
muliert. Mit ausdrücklicher Beziehung auf Medeas Situation redet dann der Chor
(865) vom θυμός der Medea, der den Vollzug des Racheplanes an den eigenen Kin-
dern nicht zulassen oder ertragen werde (s.u. S. 32). Es ergibt sich demnach
aus dem Gebrauch des Wortes θυμός im Gesamtverlauf des Stückes kein Grund
dafür, daß man es im großen Monolog, in 1056 und 1079, auf Medeas Haß, Eifer-
sucht oder Rachebedürfnis beschränken müßte. Im Gegenteil: Wenn man es aus
Medeas Mund als Bezeichnung ihrer Muttergefühle versteht, hält man sich eher
im Rahmen des speziellen Wortgebrauchs dieser Tragödie.
Dieses Ergebnis bestätigt sich an der - wirklichen oder scheinbaren - Aus-
nahme: In Medeas erfolgreicher Trugrede - und nur dort bzw. in der Antwort des
überlisteten Jason - kommt θυμός mit Beziehung auf Medea als Synonym zu όργή
und χόλος (870ff.), in der Nachbarschaft zu δυσμενεαίνω, άφρων und άβουλία und
als Gegenbegriff zu εύ bzw. άμεινον βεβουλεΰσθαι oder σώφρων είναι vor. Auch
βουλεύματα verwendet Medea hier nicht für ihren Racheplan, sondern für die
weisen Ratschlüsse der Mächtigen im Lande, der sie sich nunmehr in rechter, lo-
benswerter Einsicht zu unterwerfen vorgibt (886), woran sie bisher ihr θυμός und
ihr unweiblicher Eigensinn gehindert hat.
Die völlige Umkehrung der Terminologie in der von 870 bis 968 reichenden
Trugszene beruht gewiß nicht auf Zufall, sondern gibt einen Hinweis darauf, wie
θυμός und βουλεύματα im großen Monolog zu verstehen seien.
Bezeichnenderweise läßt sich im Gebrauch von καρδία, das als Bezeichnung
der zu jeder Tat nötigen Antriebskraft gerade im Munde Medeas synonym mit
θυμός in seiner üblichen, generellen Bedeutung vorkommt (καρδία οϊχεται 1042;
 
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