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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0046
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Albrecht Dihle

Worten appelliert sie zwar an die Solidarität der Frauen, von der Euripides auch
sonst spricht (I.T. 1061; Hel. 329; fr. 108 Nauck; vgl. Page z. St.). Gleichzeitig aber
versetzt sie sich wie ein Mann in die Rolle des δεσπότης gegenüber den Frauen,
die als freie Korintherinnen zu denken sind (214) und die sie sonst als φίλαι an-
redet (z. B. 1116), wie das Scholion zu 823 richtig anmerkt.
Angesichts der allen Beteiligten bewußten „männlichen“ Qualitäten Medeas
kann ihr Trug nur deshalb gelingen, weil die bedingungslose Gefügigkeit, zu der
sie sich scheinbar bekehrt hat (vgl. das δράσω τάδε 927), so genau dem Bild ent-
spricht, das sich Jason und seine Umwelt - und wohl auch das Athener Publikum -
von einer γυνή σώφρων machen (vgl. Eur. Held. 476f.).
30 Im Hinblick auf die z. T. subtilen psychologischen Probleme, die in den Gestalten
der 'Medea’ anschaulich werden, sollte man vielleicht an das erinnern, was Cedric
Whitman (Euripides and the Full Circle of Myth, Cambridge, Mass. 1974, 87)
zu einer Passage des Ton’ (429ff.) sagt: For although Euripides clearly and fre-
quently reflects the ideas and idiom of Contemporary thinkers, there is no reason
to think that he ever promulgated any systematic theory.
31 Ein Vergleich zwischen den Versen 1064-66 und 1116-17 zeigt deutlich, wie Äuße-
rungen Medeas im und im Umkreis des großen Monologs nicht einfach für
„bare Münze“ genommen werden dürfen, sondern die wechselnden Stimmungen
und Intentionen der Sprecherin widerspiegeln. In dem „harten“ Abschnitt des Mo-
nologs versichert sich Medea selbst, daß der erste Teil des Racheplanes vollzogen
sei und darum alles seinen vorgezeichneten Weg gehen müsse. Daß dieses nicht
gleichbleibendem Wünschen und Wollen entspricht, zeigen die Verse 1116f.:
φίλαι, πάλαι τοι προσμένουσα τήν τύχην
καραδοκώ τάκεΐθεν οΐ προβήσεται.
Diese Worte verraten, daß Medea sich ihrer Sache in diesem Augenblick wenig-
stens nicht so sicher ist, wie sie es 1064ff. sich selbst suggeriert. Gerade die 1116
noch bestehende Unsicherheit motiviert den abrupten Entschluß in 1236ff.: Da-
zwischen liegt der Botenbericht über den Tod des Königs und der Tochter, durch
den Medea im Grunde die Entscheidung abgenommen ist. Eben dieses hatte sie
eigentlich schon aus den beiden ersten hastigen Ankündigungen des auftretenden
Boten (1121 ff. und 1125f.) entnehmen müssen, in denen Medea zur Flucht aufge-
rufen wird, weil Kreon und seine Tochter an den Gaben zugrundegegangen seien.
Aber das, was sie da hört, löst in ihr zunächst nur Gefühle der Befriedigung über
die zu diesem Teil gelungene Rache aus: Von den Kindern spricht sie in diesem
Augenblick kein Wort.
’2 1013f. ταΰτα γάρ θεοί | κάγώ κακώς φρονοΰσ’ έμηχανησάμην und 401f. φείδου
μηδέν ών έπίστασαι, Μήδεια, βουλεύουσα καί τεχνωμένη. Schon am Anfang
des Stückes bezieht die Amme Medeas tadelnswerte, „männliche“ αύθαδία auf
die φρήν, nicht den θυμός (103f.).
13 Leider wissen wir mit der Nachricht nicht viel anzufangen, daß Diogenes von
Sinope gesagt habe, Medea sei klug (σοφή), aber keine Zauberin gewesen (Tr.
G. F. 88 F le), weil nicht deutlich wird, ob sich diese Worte etwa auf Euripides’
'Medea’, auf die für Diogenes bezeugte Medea-Tragödie oder auf die Sagen-
gestalt schlechthin bezogen.
14 Man denke etwa an die „Pharmakeutrien“ Theokrits. Hier bewährt sich die von
Fortenbaugh hervorgehobene Unterscheidung zwischen der Intelligenz, die der
 
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